Die neue Show: Der Super-Kranke

Heute geht es mir bedeutend besser. „Besser“ ist natürlich relativ. Ich fühle mich wieder als Mensch und nicht als kontaminierter Sondermüll. Was bestehen bleibt ist nicht der Rede wert. Kleinigkeiten im Vergleich zum Endziel: den Niedergang von George Lymphomi. Der Körper verändert sich jeden Tag. Gut, das spürt IHR, liebe Leser*innen selbst zu Genüge, nix Neues: 7 statt 3 Augenringe morgens im Spiegel, immer mehr zur Seite neigende 

Schneidezähne, Raum einnehmende Fettpölsterchen bzw. Polster, Adern und Leberflecken dort, wo sie in der Regel nicht hingehören. Man überlegt sich im Vorfeld gut, ob man den Kirchturm erklimmt, 24 Stunden durchvögelt oder sich beim Baden-Marathon anmeldet: Der plötzliche Sekundentod ist ein ständiger Begleiter. Was tut man dagegen? Cremen steppern und entkorken. Wir sitzen, wie schon erwähnt, alle in der Titanic und machen eben das Beste daraus: bestellen einen letzten 60 Jahre alten Whisky und genießen nochmal Amazing Grace zu unserer nass-kalten Seebestattung. So, und nun stellt ihr euch vor, ihr habt eine niedliche kleine Chemotherapie gerade hinter euch gebracht. Das Absaufen beschleunigt sich dadurch natürlich erheblich und - die wahre Katastrophe: Ihr schmeckt die Köstlichkeit des phänomenalen Whiskys nicht mehr. Schade, oder? Meine bedeutungslosen Unpässlichkeiten sind: Füße aus Pappmaché. Ich habe mir Klötze aus Karton an meine Füße geschnallt und laufe darauf. Geht recht gut, fühlt sich nur noch etwas ungewohnt an. Meine Stirn und Kopfhaut schält sich. Streicht über Schmirgelpapier, dann wisst ihr Bescheid. Die Furchen unter den Augen werden zu Vulkankratern,  glattkneten unmöglich. Über Nacht produziert mein Körper seit Neuestem Sand, glaube ich, und das Ventil hierfür sind meine Augen. Sie sind nach dem Aufwachen so verklebt, dass ich mehrere Sekunden brauche, um klar zu sehen.  Wenn ich die 3 Stockwerke im Haus laufe, brauche ich erstmal eine kleine Verschnaufspause, um keinen Absturz beim Abstieg zu riskieren.Die Adipösen unter euch kennen das mit Sicherheit. Ich muss stets aufpassen, dass ich nicht aus Versehen das Haus in die Luft sprenge oder mein Hab und Gut verliere. Wenn ich im Gespräch bin, lenkt mich mein Kumpel ICKE immer mit doofem Geplapper ab. Leichte Übelkeit schwingt bei allem mit, was ich tue. Es ist so, als wäre man verdonnert permanent Dieter Bohlen zu gucken und zu hören. Was ist nun von all dem Disposition? Zustände, die sich eben beim Altern ganz automatisch ergeben? Oder sind es doch die Nebenwirkungen, die heftig zu Buche schlagen? Manchmal schießt ein brennender Pfeil durch mein Hirn, dass ich mir sage: Okay, das war’s, mein Alter. Schlaganfall, Tot! Sowas hatte ich vor der Chemo in der Häufigkeit noch nicht, auch wenn Chantal wieder einmal mit Körbchengröße DDD ohne BH, bauchfrei vor einem saß und teilnahmslos vor sich hin grunzte.

Und dann wird man in Heidelberg gefragt, wie geht es ihnen Herr Schnur? Will man dem armen Assistentenzarzt tatsächlich 2 Stunden seines Lebens klauen. Gut, Herr Doktor, gut! Von einer Skala von 0 - 10 (0 = tot). Och, so 6,425 vielleicht, Herr Doktor. Meine Mama hat in solchen Situationen immer 0 gesagt, was dann ja auch schließlich am 10. September 1991 zutraf. Vielleicht sperre ich mich deswegen auch dagegen eine niedrige Zahl zu nennen. Im Vergleich zu manch Anderen (Tag und Nacht aufräumende Flutopfer) hab ich eindeutig eine 10 auf dem Konto. 

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