Da mein Hausarzt sich in den Ferien befindet, muss ich für die wöchentliche Blutabnahme bei seinen Kollegen vorbeischauen. Der Arzt von letzter Woche verweilt seit heute nun auch im Urlaub. Ein erneuter Wechsel wurde daher notwendig. Es ist spannend, auf diese Art die Landauer Ärzteschaft kennenzulernen oder eben auch nicht kennenzulernen. Letzten Montag suchte ich eine Praxis auf, von der würde ich definitiv abraten. Von Kontaktaufnahme bis Abwicklung kompliziert und unfreundlich. Arzt habe ich nicht gesehen. Heute alles anders: Kontaktaufnahme, Terminierungen völlig unproblematisch, sehr nett. Und ich wurde sogar etwas untersucht (Blutdruck) und ausführlich befragt. Praxis ist nicht nur schulmedizinisch, sondern auch naturheilkundlich aufgestellt. Ein mächtiger Buddha hat den Praxisflur im Blick und überall erklingt ganz leise meditative Musik im Hintergrund. Alle in der Praxis waren sehr zuvorkommend und wirkten sehr professionell. Das sind manchmal Kleinigkeiten, die eine gute Bewertung ausmachen. Ein Beispiel: Zur doppelten Absicherung senden sie selbst noch die Werte an die Tagesklinik nach Heidelberg und überlassen den Job nicht dem Labor alleine. Auch eine Email werde ich bekommen. Eine Praxis ohne diese Techniken und einen aussagekräftigen Internetauftritt geht nicht mehr. Sorry! Das sollte Standard sein. Einen Haken hatte die Praxis leider: Ich verstand den Arzt nicht. Und das lag nicht allein an seinem Ur-pfälzisch, sondern an seiner maschinenartigen Aussprache. Das macht eine dauerhafte Behandlung sehr schwierig. Mein Hausarzt verstehe ich auch nicht immer, weil er denkt, ich hätte zu meinem Lehramtstudium noch ein Medizinstudium absolviert. Wenn ich aber das Stichwort „deutsch“ einbringe, kann er sich dann doch verständlich artikulieren. Das wäre bei Doc Maschinengewehr unmöglich. Es war ein wenig skurril, die beruhigende Meditationsmusik und gleichzeitig seine super-hektische Aussprache wahrzunehmen. Mit äußerster Konzentration konnte ich chiffrieren, dass er dieses Jahr nicht mehr in Urlaub fährt und die Pfalz liebt. Wir leben dort, wo andere Urlaub machen. So könnte er sich in etwa geäußert haben. Körperlich war er ungefähr die Hälfte von mir, aber mit dem gleichen Bäuchlein versehen. Is ja gut, Nicole, hör auf zu kichern, ich sag ja schon BAUCH. Doc Ratter Ratter Ratter wirkte nicht unsympathisch. Ich könnte mir vorstellen, dass er ein guter Arzt ist. Er fragte zumindest, ob die Diagnose bei mir ein Hodgkin oder ein Non-Hodgkin wäre. Hutzieh! Und er sagte zum Schluss, dass ich jederzeit kommen könnte, wenn was wäre. Pluspunkt! Na ja, ich vermute, er hat das so gesagt. Geklungen hat es in etwa so: Sekönnnekönnegerngerngernimmerkummekumme. Mein Gesamteindruck war dennoch absolut positiv. Da ich selbst weiß, wie wichtig es für die eigene Arbeitsmotivation ist, gutes Feedback zu erhalten - wer etwas Anderes behauptet, geht auch zum Lachen in den Keller -, gab ich beim Verlassen der Praxis eine Lobeshymne zum Besten. Meine Empfehlung, ihr Chef soll wenn mögliche etwas weniger koksen und einen Logopäden aufsuchen, hielt ich zurück. .
Ich fühlte mich recht gut und reihte mich zu einem Belohnungscappuccino in die Warteschlange vom „Sörkel“ ein. Das Café war voll und die Organisation zäh. Eine Mitwartende schaute mich etwas angeekelt an. Also mir ist ja klar, dass die Chemotherapie Spuren bei mir hinterlässt, aber ich bin hoffe ich doch weit entfernt von einer Walking-Dead-Zombie-Kreatur. Die Blicke der angeekelten Dame verleitete mich dazu, mich etwas genauer zu studieren und ich entdeckte geschockt das Corpus Delicti: Mein linker Arm war vollgeblutet. Ich habe wohl nicht lange genug auf die Einstichstelle Druck ausgeübt und sie hat nachgeblutet wie in einem Schlachthof. War tatsächlich etwas widerlich. Ich dachte kurz daran, Frau von Ekel mit einem lautem röchelnden Schmatzen anzufallen und ihre Nase mit einem Happs zu verschlingen. Verwarf den Gedanken dann aber nach wenigen Millisekunden. Lustig wärs gewesen, wenn ich mir so Nicis Gesicht vorstelle, als sie erfährt, dass ich in die geschlossene Psychiatrie eingeliefert worden wäre, weil ich einer Passantin die Nase abgebissen und genüsslich verspeist hätte.
Zurück in der nahegelegenen Arztpraxis, schlugen sich die strahlenden Helferinnen darum, wer bei mir die Sauerrei entfernen durfte. 200-Kilo-Karla-Knack gewann leider.
Jetzt aber: Endlich Belohnung. Cappuccino. Im Mago. Alle anderen Cafés waren leider rappelvoll. Ich glaube, das letzte Mal war ich kurz vor der Ardennen-Offensive im Mago. Das Café ist Kult, aber unterirdisch schlecht. Als Studi oder „Coolen-letzten-Platz-Sucher“ optimal. Wie oft bin hier mit gefühlten 2,5 Promille nachts von der Außentreppe gefallen. Ich ließ alte Erinnerungen aufleben und bestellte das obligatorischere belegte Baguette mit Cocktailsauce. Seit ich in Landau bin, gibt es dieses miserable Weich-Brotding mit 0.132 Gramm Vitamine. Einmal im Jahr kann man sich das gesundheitlich antun. Ein zweites Mal und das Blut wird grün. Ich hab ja schon Krebs, ist also nicht mehr ganz so schlimm. Aber was so richtig schlimm war, war der Cappuccino. Nein, dieses wohlklingende Wort darf man nicht für diese Plörre missbrauchen. Unfassbar! Wenn ich daran denke, was das Kaffeehaus in Winterberg da geboten hat, fürs gleiche Geld, fang ich an zu schluchzen. Das Mago-Heißgetränk war irgendwas Aufgeschäumtes, abgeleitetes Schlackwasser von der BASF oder so. Die Orangina federte den chemikalischen Geschmack ein klein Wenig ab. Wenn ich heute versterbe, lag es mit Sicherheit an…mir fällt beim Teutates nicht ein, wie ich dieses lauwarme Schaumgetränk noch bezeichnen könnte.
Vorgestern noch fühlte ich mich wie ein angeknabberter Hundekuchen. Dass ich heute die Strecke Böchingen - Landau - Böchingen in 39 Minuten mit dem E-Bike schaffe, hätte ich mir in diesen Elendsstunden auf keinen Fall vorstellen können. Es war nicht unanstrengend, aber im Turbomodus ging’s. Einen Stopp machte ich am Deutschen Tor. Wenn man alleine unterwegs ist, ohne Terminstress, dann entdeckt man wunderschöne kleine Oasen. Ganz allein, in Mitten der City. Wann hat man schon Muse dazu, diese besonderen Fleckchen anzusteuern. Die Unwetterwarnung ließ mich unruhig werden und ich verkürzte mein Aufenthalt und meine Shopping-Ambitionen. Mitten auf Mount Böchingen in einen Platzregen zu kommen und womöglich in der Queich zu enden, stand jetzt nicht unbedingt auf meiner Wunschliste. Heute weiß man ja leider nie, was einen bei Regen so erwartet: Kurz mal in die Stadt geradelt und wenn man zurück ist, findet sich der verbeulte Meriva mit „DerWolke“ am Steuer auf dem überschwemmten Hausdach wieder.
Den ganzen Vormittagsstress muss ich jetzt erst mal auf der Couch bei einer Prise Olympia verarbeiten. Die Ergebnisse interessieren mich eigentlich nicht so, sondern die Geschichten drum herum: Die Amateur-Radrennfahrerin und Mathematikerin aus der Schweiz, die keiner kannte und nun Olympiasiegerin ist. Die 46-jährige Turnerin, die nach ihrem allerletzten Sprung gebührend gefeiert wurde. Max Kruses Heiratsantrag vor laufender Kamera. Verrückter sympathischer Kerl! Die unglaublichen Biographien der Sportler*innen, die aus ihren Heimatländern vor Gewalt und Tod geflüchtet sind und nun ihren Traum bei Olympia verwirklichen können. DAS sehe ich gerne. Nici und Icke habe ich ein wenig irritiert, dass mir Dressurreiten so gut gefällt. Ein Sport nur für die ganz Abgehobenen. Ich finde es tatsächlich sehr esthetisch, was Reiter*in und Pferd da zusammen aufführen. Was für schöne Tiere. Seit wir vor zwei Jahren in den Genuss gekommen sind, mit Anna in Dänemark ausreiten zu dürfen, sehe ich sowohl die Tiere als auch den Sport mit ganz anderen Augen. Wenn ich Kohle hätte, würde ich Anna „Bella Rose“ zu Weihnachten schenken. Ja, ja, wer zum Teufel ist Bella Rose? Nur was für die Olympiakenner!
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