Krankheit und Erkenntnisse

06.14 Uhr 

Wenn man so daliegt, einem die Glieder schmerzen, der Kopf pocht, der Schwindel beim Aufrichten über einen kommt, Angst davor hat aufs Klo zu gehen, es für die Augen zu hell ist und der Körper in einen Arbeitsstreik gegangen ist, dann fällt es verdammt schwer, irgendeinen Sinn in diesen Beschwerden zu finden. Der Sinn? Gesundheit noch mehr zu schätzen? Unwichtiges von Unwichtigem zu trennen? Noch mehr auf die Liebe zu setzen. Gleichgültigkeit und Oberflächlichkeit als Feinde zu betrachten? Alles richtig! Aber wenn einem die Kraft dazu fehlt? Sie kommt nur langsam zurück - diese Kraft. Ich wache auf, und es dreht sich Gott sei Dank nicht mehr alles wie in einem Karussell. Ich wache auf und die liebevollste Person des Universums liegt neben mir und reicht mir einen Kaffee. Unser Ritual. Es bleibt ein Ritual, auch wenn ich nur nippe. Ein Ritual der so wichtigen Normalität. Krankheit und Psyche gehören unausweichlich zusammen! Sowohl beim Heilungsprozess als auch beim Entstehen von Krankheit. Der Köper kann schwach sein, die Psyche muss dagegen stark bleiben. Mir ist aktuell ein Rätsel, wie ich meine Lymphom-Erkrankung vor 10 Jahren überstehen konnte. Wie habe ich bloß 5 Zytostatika überlebt? Gut überlebt! Ich war da viel mehr auf mich alleine gestellt. Die Therapie war viel härter. Unvorstellbar hart. Die Therapie heute scheint im Vergleich dazu ein Klacks zu sein. Bin ich jammriger geworden? Nachdenklicher? Nehme ich mehr wahr? Hänge ich mehr am Leben? Ein wundervolles Leben! Es würde mich ärgern, es aufgeben zu müssen. Es ist so viel besser als vor 10 Jahren. Nicht jeder kann das von sich behaupten. Wenn man das sagen kann, dann ist das großes Glück. Ich glaube, darin könnte der Schlüssel liegen: Ich habe so viele Erkenntnisse aufgrund meiner Krankheit gewonnen, die ich ohne sie nicht erlangt hätte. Und für diese Erkenntnisse bin ich dankbar. Aber Dankbarkeit für meine Gebrechen zu fühlen, das ist dann doch ein bisschen zu viel des Guten! 


Gestern hat mich mein bester Freund nach Heidelberg gefahren. Er ist da, wenn man ihn braucht. Zuverlässig. Uneigennützig. Mir gegenüber zumindest. Wir wissen viel voneinander und akzeptieren die gegenseitigen Schwächen. Bestärken uns in der Not. Können uns auch mal was Kritisches sagen, ohne den Rückzug zu befürchten. Ein beständiger Lebensbegleiter. Wir sind sehr unterschiedlich zwar, haben aber dennoch viele Gemeinsamkeiten. Die Gemeinsamkeit z. B., Stärke demonstrieren zu müssen und sich innerlich schwach zu fühlen. Die Gemeinsamkeit, dass Krankheit einen zur Besinnung bringt. Es geht vielen so wie mir, dass man durch eine Episode der Verletzlichkeit, auf einen anderen Weg gesetzt wird. Der Inhalt dieses Blogs ist nicht ungewöhnlich - die Medien sind voll von den Themen, die ich hier anspreche -, die schonungslose Offenheit ist eventuell gewöhnungsbedürftig. In meinem Umfeld sind einige mit ihren anerzogenen und abgeschauten Lebensmodellen überfordert. Wenn sie dies offen zugeben, sind sie da schon weit. Aber was heißt hier Überforderung. Klingt schon wieder nach Makel! Vielleicht schlugen wir alle einfach einen falschen Weg ein, haben jetzt intensiv in die Wanderkarte geschaut und finden nun nach langem Suchen den „richtigen“. Gehen jetzt den längeren unbequemen Pfad, der uns schließlich sicher zum zum Ziel führen wird. Im Prinzip müssen wir nur eine zentrale Frage beantworten - ohne groß zu grübeln: Was brauchen wir tatsächlich, damit wir uns wohl in unserer Haut fühlen? 

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