Der Chemo-Kasper isch heut net luschdig

08.30 Uhr 

Heute day one! Der Chemo-Kasper kann mich nicht aufmuntern. Ich habe definitiv kein Bock auf diesen Infusionsmist. Auf Krankheit und Kranke schon gar nicht. Auch nicht auf Warten - heute ist wieder der Teufel los. Der Krebs macht auch in den Ferien keine Pause. Der Corona-Abstrich ging relativ flott. Ich weiß nicht, aber vor 10 Jahren war das alles besser organisiert. Ich kann mich nicht dran erinnern, dass ich so lange warten habe müssen. Man sitzt oft da und weiß nicht, wie die Abläufe sind. Man hat das ständige Gefühl übersehen oder vergessen zu werden. Es werden kaum Infos raus gegeben. Ein Mitpatient, den ich das letzte Mal gesehen habe, sitzt jetzt im Rollstuhl. Sieht nicht wirklich lebendig aus der Gute. Ich hoffe sehr, dass ich um so einen Anblick rum komme. Ein weiterer Patient hat die gleiche Narbe am Hals wie ich. Scheint die härtere Dosis zu erhalten. Die obligatorische Kappe über auf dem haarlosen Kopf. Sehr bleich! Tiefliegende hektische Augen! Aber kräftige Stimme. Mit dieser Stimme macht er’s noch eine Weile. Ich glaube, wenn man hämatologisch einen Abgang macht, geht mit zuerst die Stimme flöten. Viele Kopftücher sieht man auch. Und das sind alles keine Muslima. Als topfitter Pfleger würde ich das ja alles locker wegstecken. Kein Problem!  Aber als Betroffener deprimiert der Anblick der Todgeweihten dann schon erheblich. Was für ein Kontrast zu der Jubiläumsfeier gestern. Alles strahlende Gesichter, die das Leben feiern, und hier eher Augen , der von Schmerz und Trübsal berichten. Der Chemo-Kasper isch heut net luschdig. 


Die Hinfahrt mit Kumpel Manne wenigstens ein Lichtblick. Die meiste Zeit zumindest. Hin und wieder war er noch im Motorradfahrermodus und ich war froh noch nix gefrühstückt zu haben. Halleluja! Kleiner Hamilton, der Manne! 


09.00 Uhr 

So gefällt mir das. Ein sympathischer auskunftsfreudiger Assistenzarzt hat das planmäßige Gespräch am 1. Tag der Therapie heute geführt. Und wieder hat mein Gefühl nicht getrügt. Die Ärztin vom letzten Zyklus war etwas desolat und hat falsche Infos notiert. Sie hat vermerkt, dass ich Probleme mit einem Lymphknoten hätte; ich hatte aber das Gegenteil betont: vergrösserter Lymphknoten weg! Auch mein Eindruck bezüglich Planungschaos hat Doc. Jungspund bestätigt. Zu meinem Blutwerten meinte er, dass alles noch im grünen Bereich ist. Ich müsste mir keine Sorgen machen. Muss aber natürlich nicht so bleiben. Ein wenig nachdenken müsste man, wenn die Leukos unter 2,5 rutschen. Ich bin bei 3,6. Noch reichlich Puffer! Das ist doch mal eine Aussage. Alle anderen Werte sind der Therapie geschuldet. Good Job, Herr Doctor Z. 


09.42 

Nadel gesetzt. Hat es tatsächlich gewirkt, dass ich mich in der Mail gestern ein wenig beklagt habe? 


09.54 Uhr 

Vielleicht doch nicht! 

10.05 Uhr 

Post in Facebook. Wohl wahr, Mr. Keating! Ach wie ich diese Geschichte liebe. Ich saß damals im Kinosaal und war nicht verärgert nicht so einen tollen Lehrer gehabt zu haben, sondern dachte: Genau so will ich sein. Jedesmal wenn ich diesen Film sehe, bin ich wieder von Neuem inspiriert ergriffen. Ich durfte es zweimal im Unterricht durchnehmen. Pure Freude für mich. Leider geht man immer mehr über eine Lektüre in der Stufe festzulegen und die Präferenzen von Lehrern zu übergehen. Frauen lesen andere Bücher. Schade! Das intensive Arbeiten mit den Kindern fehlt mir, wie eine 20-km- Wanderung. 


10.31 Uhr 

Läuft…und Zack müde! 



12.40 Uhr 

Hab das Gefühl, es wird von mal zu mal schlimmer. 

Müsste mich doch jetzt langsam gewöhnt haben. Die Pflegerinnen wünschen sich eine genaue Aussage zu meinem Zustand, die ich ihnen aber nicht liefern kann. Von der Aussage machen sie abhängig, ob sie die Infusion hoch drehen. Die Abläufe sind vorgegeben. Wenn beschissen sage, stoppen sie und warten. Ich will aber hier raus. Hab mir Decke kommen lassen, mich fröstelt es. 


21.09 Uhr. 

Vollständig im Eimer. 


14.37 Uhr 

Es geht mir besser! Der Kater ist abgeklungen, es wartet der neue. Bendamustin läuft seit 2 Minuten in mich rein. Echt eine Achterbahn der Gefühle, die man da über sich ergehen lassen muss. Gestern dachte ich noch, ich werde nie wieder richtig in die Pötte kommen. Heute im Verlaufe des Morgens ging es Stunde um Stunde besser. Hab sogar eine ganze Folge Lanz geschaut. Die Luisa Neubauer ist echt ein Phänomen. 25 und schon so klar. Sie wird eine große Karriere machen, da bin ich mir sicher! 


14.49 Uhr 

Es ist schräg, das Zeug, das einen heilen soll, in sich hinein tropfen zu sehen und das Gefühl zu haben, das im Mund zu schmecken. Eklig metallener Geschmack. Kopf wird schwerer, alles wird dumpfer, wie in Watte gepackt. Leichte Übelkeit setzt ein. 


15.05 Uhr

Das Pflegekräftezimmer liegt zwischen den Therapieräumen. Nachmittags ist nicht mehr viel los und die Pflegerinnen haben Zeit zum Quatschen. Wenn ein Beutel leer läuft erklingt ein Alarmton. Hat sich über die Jahre nicht verändert. Manchmal höre ich ihn sogar im Traum. Das die Mädels so laut palavern, nervt. Ich finde das geht nicht. Ich finde, wie in einer Bibliothek sollte hier Ruhe herrschen. Auch im Wertebereich wird vor den Patienten oft rum geschrien: da bläfft die eine Haushaltskraft die andere an oder schimpft der Oberarzt mit den Pflegekräften. Das ist mir schon oft aufgefallen, dass da keine Rücksicht genommen wird. Vor den Patienten (dem Kunden) sollte man immer die Contenance wahren. 


15.10 Uhr 

Nun werde ich wieder müde. Diese Müdigkeit belastet. Ich kenne mich gar nicht so. 

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