Ob ich das tatsächlich bin, muss ich mir noch durch den Kopf gehen lassen. Gestern habe ich eine Interview-Reihe in der ZDF-Mediathek gesehen: Heroes. 30 Minuten. Unter anderem spricht dort ein Comedian über sein Leben. Kurt Krömer, den ich sehr mag, war zu Gast. Es wurde mir ein wenig zu viel „Scheiße“ und „geil“ verwendet. (Das sage ICH, Icke findet‘s geil!“ - Icke ist aus dem Urlaub zurück, aber dazu später mehr.) Es kommt mir manchmal vor, als ob die alle meinen Blog lesen. Kurt Krömer erzählt über sein bewegtes Leben - voller Versagensängste, Depressionen, Alkoholsucht. Hintergrundmusik liefern Danger Dan und Tocotronic. Bei ihm heißt es nicht. „Zeige deine Wunden, dann wirst du geheilt“, sondern zeige deine Wunden, dann wirst du frei. Er bezeichnete das Sprechen über seine Depression als auch eine Art von Coming-Out. Ihm habe es gut getan, sich zu öffnen. Dabei hat er wohl einen Nerv getroffen, da er viele „positive Zuschriften“ daraufhin erhielt. Sogar über den Tod wurde philosophiert. Er zeichnete ein schönes und lustiges Bild vom Sterben. Mit 95 liege er im Sterbebett, die Enkelin flüstert: Wann stirbt denn der Opa, ich möchte PlayStation spielen. Die Mutter schimpft und fordert Pietät ein, ist ja klar. Krömer würde dann der Enkelin antworten: Keine Panik, Opa beeilt sich! Tod und Sterben - damit hätte bei diesem Format nun wohl keiner gerechnet. Auf einer Parkbank in Berlin, mit einer Kippe im Mund. Dieser Umstand trieb Krömer zu dem Kommentar: Ist das hier eigentlich noch eine Comedy-Show? Wie Moritz Neumeier und Krömer selbstkritisch und ehrlich über das Vatersein und ihr Versagen quatschten und man trotzdem spürte, dass sie ihre Kinder und Familie sehr lieben, berührte. Kurt Krömer sei irgendwie ein menschenliebender Misanthrop - das klinge schizophren, aber geil! Da haben dir es wieder, das g-Wort! Menschenliebender Menschenhasser: Ich hoffe, eigentlich, dass ich das nicht bin.
Vorgestern hörte ich auch eine sehr interessante Sendung: Torsten Sträter bei SWR1-Leute. Kann ich mit Menschen kommunizieren, die SWR1-Leute nicht kennen? Natürlich! Auch in diesem Interview ging es um Depression. Auch Sträter hatte mit dieser Erkrankung zu kämpfen. „Bevor du in der Kiste landest, nimm Tabletten!“, so ein Spruch mit Nachklang. Auch er schildert es als Befreiung, darüber offen zu reden. In seinen Bühnenprogrammen wird das Thema immer wieder aufgegriffen. Die humoristische Betrachtung des Wortes „Götterspeise“, einfach köstlich: Wie kann ekliges grünes Schlabber-Zeuch die Speise von Göttern sein? Da stimme doch was nicht! Ich mag Sträters Humor und Geschichten sehr. Wer sich ein besonderes Geburtstagsgeschenk zu meinem 60. überlegen mag, darf hierfür gerne Karten einen Live-Auftritt wählen oder mir eine Sträter-Mütze besorgen. Depression ist eine furchtbare Erkrankung. Manchmal denke ich: schlimmer als Krebs. An Krebs stirbt man nur, die Depression quält einen (womöglich ein Leben lang). Ich hatte und habe viele Berührungspunkte mit der Erkrankung. Es wäre interessant zu wissen, ob anderen Menschen das ähnlich so geht. Die Statistik besagt ja, dass psychosomatische Krankheitsbilder in den letzten Jahren zugenommen haben. Das Schlimme ist die Machtlosigkeit, die eigene, aber auch die der Angehörigen. Nici kann mir einen Smoothie machen, über den Kopf streichen, mich mit einem Witz aufheitern, bei mir sein. Wenn ich depressiv wäre, würden diese gut gemeinten Handlungsvarianten ins Leere laufen. Nichts hilft dann. Ich habe oft mit Menschen mit Depressionen das Dach geteilt. Auch wenn ich mich mit der Thematik auseinander gesetzt und einiges darüber gelesen habe, habe ich mich doch immer für den falschen Weg entschieden, weil er in uns so tief verankert ist: Geh doch raus, mach doch Sport, sei doch mal lockerer! Es ist nur sehr schwer, diesen Pfad zu verlassen. Am einfachsten war es mit meiner Mutter. Da war ich Teenager, hatte keine Ahnung, wollte einfach das Beste für sie. Die Vernunft sagt zwar: Hey Alex, lass das mit dem schlechten Gewissen, du konntest nicht anders. Dieses Molekül der Schuld schwirrt aber dennoch für immer und ewig in mir herum: Hätte ich DOCH etwas für sie tun können. Unbeholfen brachte ich ihr einen Blumenstrauß, Gemüse und Obst von meiner Arbeit auf dem Wochenmarkt mit. Sie konnte sich darüber nicht mehr freuen! Ich engagiere mich für das würdevolle Sterben, aber genauso hätte ich mich für die Lobby der vergessenen Depressiven einsetzen können. Ich bin dankbar, dass ich da selbst bislang noch weitestgehend verschont geblieben bin. Es ist aber leider so, dass uns diese Krankheit, wie alle Erkrankungen, fast über Nacht ereilen kann. Keiner kann sich hier sicher sein!
Drei Erfahrungen hatte ich mit Psychologen bisher. Die erste war während meines Referendariats. Ich stand vor einer benoteten Lehrprobe. Freitags ging ich von der Schule nach Hause. Meine Mentoren dort und die Fachschaftsleiterin haben in der Vorbesprechung die Stunde zu sehr in die Mangel genommen - ich wurde unsicher. Nun begann ich den Fehler aller Fehler: Ich stellte meine geplante Stunde fast vollständig um. Dienstags hätte ich sie halten sollen. Mein Standing im Seminar war gut. Ich hatte überall einen guten Eindruck hinterlassen. Dieses Niveau wollte ich auf Teufel komm raus halten. Perfektionismus kann manchmal ein Fluch sein. Ich hab’s vergeigt, weil ich das Wochenende keine Minute schlief, 200 Zigaretten rauchte, 5 Kannen Kaffee und 3 Flaschen Rotwein trank. In meinem Arbeitszimmer in Nussdorf fand man kein einziges Gefäß, worin kein Kippenstummel schwamm. Montags im Seminar in Kaiserslautern gingen mir komplett die Lichter aus. Bei einem Vortrag eines externen Referenten schlief ich ein. Die Fachleiterin weckte mich irritiert. In meinem Delirium signalisierte ich sofort, dass ich mit ihr sprechen müsse. Nach der Einheit vermeldete ich dann in einem Gespräch mit allen „Chefs“, dass ich nun aufhöre. Dem ganzen Stress, der ganzen „Show“ nicht mehr gewachsen bin. Alle waren überrascht, weil es doch so gut lief und sie viel von mir hielten. Ich solle mir jetzt mal eine Woche frei nehmen und man werde dann weiter sehen. Die Entscheidung eile ja nicht. Auf der Heimfahrt war ich fest entschlossen aufzugeben. 3 Tage schlief ich fast durch. Mein Rektor besuchte mich in Nussdorf in der Weinstube. Zuhause konnte ich ihn unmöglich empfangen. Auch er zeigte Verständnis und war mir zugetan. Meine ehrliche Buse war da sehr hilfreich. Die Lehrprobe holte ich „ausgeschlafen“, erholt und mit neuer großer Motivation erfolgreich nach. Ich machte jetzt da weiter, wo ich aufgehört hatte, nur anders und vorsichtiger. Schaute mehr nach mir! Kurze Zeit nach meinem Zusammenbruch vereinbarte ich einen Termin beim Psychologen. Das war mein eigener Wunsch. Mir ging es es schon wieder viel besser. Als ich im Wartezimmer saß, umringt von Rotlicht, Samt, Meer und Sinnsprüchen, flüchtete ich. Beim Herauslaufen musste ich von dem süßen Räucherstäbchenduft würgen.
Mein zweites Erlebnis war vor der Trennung oder nach der Trennung von der Mutter meiner Tochter. Ich weiß es nicht mehr. Es ging um die Themen das (mein) Leben ist eine große Lüge, Familie, Liebe, Selbstannahme. Der Psycho war ein Softie. Damit meine ich nicht mich. Er taugte nichts, war aber eine angenehme Person und sogar Psychiater. Die Antiquitäten und die Bibliothek in seinem Haus fand ich höchst spannend. Ich konnte mich auskotzen, das half. Ein mündlicher Blog sozusagen. Viel mitgenommen aus den Gesprächen, die eher Monologe waren, habe ich nicht.
Die dritte Begegnung war während der Reha auf der Insel Föhr. Man konnte sich seinen Anwendungsplan selbst zusammenstellen. Eine Psychostunde hat noch in den Tagesplan rein gepasst. Kann mich nicht mehr an die Psychologin erinnern. War es überhaupt eine Frau? Auf jeden Fall war es auch wieder eher ein Monolog. Nach der Sitzung meinte sie nur, sie sehe bei mir keine weiteren Bedarf nach einem Gespräch. Ich wäre ganz „klar“. Recht hatte sie. Ich kann mir durchaus helfen lassen; aber es müssen auch gute Leute sein. Und wie in vielen Branchen: Man trifft hier leider zu oft nicht auf die besten. Oder es liegt daran, dass sie zu jung, zu unerfahren oder nicht auf dem Level von einem selbst unterwegs sind. Ich bin schon der Meinung, dass man die Qualen selbst durchlitten haben muss, um ein besserer „Berater“ zu sein.
Ich lese, höre zu, bin ehrlich, schreibe, reflektiere, das hilft (mir!).
Ach ja ich wollte ja noch Infos zu Icke geben. Er ist wieder da. Hat sich gut an der Ostsee erholt und mich vermisst. So alleine hatte er seine „Daseinsberechtigung“ verloren, meinte er. Das Leben würde mit mir mehr Spaß machen, auch wenn ich immer alles richtig machen und nicht anecken möchte. Aber ich sei nun mal der einzige der seinen Humor verstünde. Icke war äußerst froh, dass ich noch nicht abgenippelt bin. Ja, so hat er sich ausgedrückt! Ist doch eigentlich nett. Zeigt richtig Gefühle, der gute alte Icke. Ich hatte ein ruhiges Leben ohne ihn, freue mich aber auch ein klein wenig, dass er wieder da ist. Man hat sich irgendwie an ihn gewöhnt.
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