Der Underdog

Ich mag es, wenn die vermeintlich Schwachen, die Unterlegenen, die Unterschätzten, die Benachteiligten, „die Underdogs“ als Sieger vom Feld gehen. Wenn die Demut, der Fleiß, der Kampfeswille, die überhebliche Arroganz schlägt. Wenn klein, arm, hässlich, das Große, Reiche, Schöne bezwingt. Wenn David Goliath zuerst auf dem linken Hühnerauge erwischt und ihn dann mit einem gezielten Schlag niederstreckt. Die Schweiz ist im Viertelfinale. Die Wettbüros hätten das im Vorfeld niemals so gesehen. Auch noch nicht während den 90 Minuten: Sie lagen mit 1:3 in der 80. hinten. Der Wille besiegt dann doch wieder die Klasse. Auch ich fühlte, dass Mbappe‘ den entscheidenden Elfer verschießen wird. Es musste so kommen. Die Götter entschieden (diesmal) richtig. Ich würde als Trainer das Tanzen und die übertriebenen Gesten nach einem Tor verbieten, so schön es auch anzusehen ist. Das Tanzen verhöhnt den Gegner. Je älter ich werde, so scheint mir Demut einer der wichtigsten Charaktereigenschaften zu sein. Das Überhebliche, Hochnäsige überwiegt doch leider allerorts. Nicht nur im Fußball. Jeder, der von seiner Meinung absolut überzeugt ist, der keine konstruktive Diskussion und keinen Perspektivwechsel zulässt, der sich ständig und uneingeschränkt im Recht sieht, wird am Ende der wahre Verlierer sein. Im Prinzip ist Sympathie auch so eine Leitlinie. Wenn uns etwas oder jemand sympathisch ist, ist das ein Zeichen für das Gute, für das Erstrebenswerte. Gosens sympathisch, Goretzka sympathisch! Gosens, der Unterschätzte, der es mit einer sagenhaften Energieleistung ganz nach oben geschafft hat. Der das Herz auf dem rechten Fleck hat. Gotetzka, der das Herz in seinem Jubel der ganzen Welt zeigt, der nicht nur funktionierender Roboter ist, sondern Mensch! Beide wissen um ihre elitäre Stellung und äußern sich häufig nachdenklich und demütig und das bereits in ihren so jungen Jahren. Das Alter spielt für die Reflexionsfähigkeit dann doch nur eine bedingte Rolle. Es ist schön, wenn solche sympathischen Vorbilder das eigene Land vertreten. 

Ich beneide Menschen, die mit Talent gesegnet sind, denen alles in den Schoß zu fliegen scheint, die die besten Voraussetzungen besitzen, um ein erfolgreiches Leben zu führen. Mir war das in meiner Jugend alles nicht gegeben. Eltern einem zuerst nichts zugetraut, dann tot. Geschwister weg und voller Probleme. Die meisten meiner Lehrer*innen haben mich in meinem Sein nicht unbedingt bestärkt, sondern eher ausgebremst. Es sagen immer so viele vermeintliche Underdogs nach ihrem überraschenden Erfolg, sie hätten immer an sich geglaubt. Außenstehende analysieren langweilig: Man muss „nur“ den Glauben an sich nicht verlieren. Ich hatte nicht an mich geglaubt. Keine Minute. Ich hatte einfach viel Glück und die Gabe, geeignete und liebe Menschen für mein Weiterkommen auszuwählen und wohl dabei ein paar richtige Entscheidungen zu treffen. Aber Glaube an die eigene Stärke? Woher sollte dieser auch kommen? Es hat mir niemand gesagt: Wir lieben dich, wir glauben an dich! Du wirst es schaffen, Alex! Diese Sätze sind manchmal lebensnotwendig, sonst wird der steinige Weg noch um einiges steiniger. In meinem Elternhaus gab es Alkoholismus, Depression, viel Streit, kein Geld. Gleich mehrere Geschenke an Geburtstag und Weihnachten? Davon hätte ich nur träumen können. Das heiß ersehnte Bonanza-Rad bekam ich 1 Jahr später, weil man darauf sparen musste und ein Sonderangebot abwartete. Meine Mitschüler haben Kuchen für mich verkauft, dass ich mit auf Klassenfahrt konnte. Ich bin jahrelang samstags um 04.00 Uhr aufgestanden, weil ich meinen Führerschein mit Wochenmarkt-Arbeit finanzierte. Ich habe mich schon daran gewöhnt, dass die Kids von heute mit Geschenken zugeschissen werden. Jedes zusätzliche Geschenk holt ein Stück üble Vergangenheit in mein Erinnerungshirn zurück. Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg und Studium hätte ich mir niemals leisten können, wenn ich nicht Bafög erhalten und nicht dauerhaft gejobbt hätte. Wie oft bin ich völlig übermüdet zum Unterricht oder zum Seminar erschienen, und das leider nicht, weil ich zu viel gefeiert hatte. Ich machte mein Abitur in Freiburg auf dem Kolping-Kolleg, da war Anna schon 3. Ich habe nicht an mich geglaubt; nein, ich habe immer an mir gezweifelt: an jeder meiner zugewiesenen Rollen. Ich war gottfroh, als ich in meinem ersten Praktikum merkte, dass ich mir wohl nicht ganz den falschen Beruf ausgesucht habe. Ich werde niemals in meinem Leben die Beurteilung von meinem ersten Mentor vergessen: Herr Schnur, Sie werden ganz bestimmt ein guter Lehrer. Dieses Statement hat mich jahrelang getragen; er hat sich in mein Bewusstsein eingebrannt. In die Versicherungsbranche wäre ich nie wieder zurückgekehrt. Unmöglich! Was hätte ich dann tun sollen - mit 28. Durch mein Wesen und meine Art mit Menschen umzugehen, habe ich mein Glück praktisch „erzwungen“. Aber was machen die Menschen, die diese Sozialkompetenz nicht so ausgeprägt besitzen? Aus welchen Gründen auch immer. Müssen die sich ihrem Schicksal ergeben? Niemand zu haben, der an dich glaubt und dann noch ein schwieriges Gemüt zu haben, das sind mit die schlechtesten Voraussetzungen für ein zufriedenes selbstbestimmtes Leben. 

08.00 Uhr 

Meine Blutwerte sind miserabel. Wieder ein Beispiel dafür, sich nie zu sicher zu fühlen. Vor allem Harnsäure und die Nierenwerte geben zu denken. Bin gespannt, ob ich heute von jemanden (Hausarzt, Tagesklinik) angerufen werde. Alkohol- und Fleischverzicht, dazu viel Bewegung sind nun Gesetz. Anweisung von Herr Dr. Schnur! So ausgelaugt wie ich mich die letzten Tage gefühlt habe, hätte mich das auch ehrlich gesagt auch gewundert. Ich habe schon mit so etwas gerechnet. 


15.30 Uhr 

Was die Kommunikation anbelangt, bin ich mit der Tagesklinik noch nicht so zufrieden. Da muss ich unbedingt nachsteuern. Klinik und Ärzte sind schwer zu erreichen. Bin gespannt, ob mich morgen jemand zurückruft. 

Mein Hausarzt ist top. Arzthelferinnen sehr zuverlässig. Doc. sich viel Zeit genommen, mit mir die Werte am Telefon durchzusprechen. Er hat Entwarnung gegeben. Alles im akzeptablen Bereich. Ihm macht es natürlich etwas zu viel Spaß, mir Fachbegriffe um die Ohren zu hauen. Die Qintessenz konnte ich zumindest raushören: Blutwerte soweit in Ordnung. Hat sogar eine dünne Schorle erlaubt. Ob die pfälzer Hausärzte in dieser Beziehung etwas anders ticken? 


Blutdruck:123/75

Puls: 75

Fieber: 36,8 

Stuhlgang: vollständig erfüllt! 

Mein Tipp: 0:2 

Nicis Tipp: 2:1 egal für wen 

17.30 Uhr 

Leider muss Nici gleich ins MRT. Wurde angerufen, ob  sie nicht früher kann. Termin wäre um 18.20 Uhr. Die Radiologen wollen natürlich auch das Spiel sehen, is ja verständlich! Die Jungs müssen das in 90 Minuten klar machen; wir haben um Acht einen Tisch bestellt. 

Richtig getippt, aber schon bissel traurig!

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