Optimismus

Crokodile Dundee war tatsächlich nicht so begeistert über die Rückfahrt aus HD. Das Geholpere mit dem Dschungelmobil machte seinem Kopfschmerz erheblich zu schaffen. Ich habe nie Kopfschmerzen. Ein seltsames Gefühl, sie dann zu haben. Auf dem Weg in die Klinik, hab ich gedacht, mir platzt der Schädel. Infusion verlief dann ohne besondere Komplikationen. Die Vorstellung, mir das Zytostatika nochmal einzuverleiben, das mitverantwortlich ist, für meinen desolaten Zustand, setzte mir psychisch ziemlich zu. Es weiß bestimmt jeder eine Situation, wo er etwas gegen seinen Willen zu sich nehmen musste. Meistens passiert sowas in der Kindheit. Eine positive Bewertung meines Medikaments fiel mir auf jeden Fall sehr schwer. Die einzige Mitpatientin hellte mein Stimmungsbild nicht gerade auf. Sie saß mir gegenüber, eine wunderschöne Frau, die nach einem gutem Einkommen aussah. Sie wirkte aber auch wie der leibhaftige Tod und hatte Unmengen an Präparaten am Infusionsständer hängen. In den Gesprächen mit den Pflegekräften bekam ich mit, dass sie schon mehrere Stunden am Tropf hing. Ihr setzten die Medikamente merklich zu. Sie hatte aber noch ihre wunderschönen blonden Haare. Ich sah, wie sie still vor sich hin litt und weinte. Sie tat mir so unendlich Leid. Wenn ich genügend Kraft gehabt hätte, hätte ich versucht, sie aufzumuntern. Aber ich hatte selbst mit meinem Programm zu tun. Musste gegen die Übelkeit ankämpfen. Was würde ich dafür geben, die Geschichten dieser Menschen erfragen zu können. Als Mitarbeiter hätte ich ein gewaltiges Problem: Ich würde wahrscheinlich viel zu viel mit den Patienten quatschen. Aber vielleicht wäre das auch für einen selbst gar nicht gut: entwickelt man womöglich noch irgendwelche Phobien. 

In den nächsten Tagen wird es mir Spaß machen, eine Playliste mit Musik der „Taxifahrer“ zusammen zu stellen. Das wird eine sehr wilde Mischung. Ich bin dankbar, solche Kumpels zu haben. Alle waren auf den Punkt pünktlich und haben sich im Vorfeld viele Gedanken gemacht. Es ist spannend, die Jungs nochmal ganz anders kennen zu lernen. Man trifft sich ja meistens in leichten, unbeschwerten Situationen. Dann sind wir alle stehen gebliebene Mittezwanziger ohne großen Sorgen. 

Zuhause angekommen wurde ich liebevoll umsorgt und bekocht. Aber der Hunger war diesmal nicht so ausgeprägt wie sonst. Ich muss auch ein wenig aufpassen, was und wie viel ich zu mir nehme, mein  Sodbrennen hin und wieder  (oder ist es Peter Schilddrüse?) quält mich. Heute Morgen ist aber alles gut. Wir hatten gestern Lust noch einen Film zu schauen. Na ja, ich weniger, aber ich genoss trotzdem die Ablenkung. Ich war zwar mega schlapp, aber innerlich auch extrem unruhig. In der Regel suche ich aus oder mache Vorschläge. Diesmal gab ich das Zepter ab. Kein Nerv! Wir mögen die kleinen Arthouse-Filme. Oft französische Komödien. Und siehe da: Nici hatte einen Volltreffer gelandet. „Nur fliegen ist schöner“, ein kleines Juwel, wie ich finde. Muss da noch mit Nicole darüber diskutieren. Man muss sich auf die Langsamkeit des Films einlassen können. Ein Familienvater, der im Job erfolgreich ist und im Prinzip alles hat, um glücklich zu sein, vermisst die Leidenschaft für etwas. Früher liebte er Postflugzeuge. Er wollte schon immer so ein Ding fliegen, hat von ihnen überall Bilder in der Wohnung hängen. Das Postflugzeug als Symbol von unbändiger Freiheit!  Zufällig trifft er aber auf ein Projekt, dass sich besser realisieren lässt: mehrere Tage mit dem Kajak über einen Fluss paddeln. Kurzerhand bestellt er sich ein Kajak, das man selbst zusammen bauen muss, im Internet. Er ist auf der einen Seite sehr strukturiert und auf der anderen Seite aber mit einzelnen Alltagssituationen hoffnungslos überfordert. Der Clou: Er möchte natürlich eine große Wegstrecke zurückliegen - „Mann“ muss ja schließlich was vorweisen können -, bleibt aber immer an der gleichen Stelle hängen, wenige Kilometer von seinem Ausgangspunkt entfernt. An diesem wunderschönen Fleckchen Erde lernt er bezaubernde Menschen kennen, die die Unabhängigkeit und den Moment zelebrieren. Es gibt so viele feine, skurrile Begegnung in diesem tollen Streifen. Wahrscheinlich hat er mich aber so mitgerissen, weil ich mich in verschiedenen Szenen häufig wiedererkannte: Ich ebenso auf der Suche nach der besonderen Leidenschaft bin und doch immer an der gleichen Stelle herauskomme. Man muss es schaffen, sich nicht zu viel vorzunehmen, das Gute, das Besondere liegt so nah. 

Das gemeinsame Lachen hatte uns so aufgeputscht, dass wir nicht schlafen konnten und noch im „Nachtcafé“ vorbei schauten. Und wieder war es eine besondere Sendung. Diesmal war nicht Lachen, sondern Flennen angesagt. Thema: Optimismus. Der vorletzte Gast, eine junge Frau, die vor mehreren Jahren an Darmkrebs erkrankte, hat so eindrucksvoll von ihrem Martyrium erzählt, dass mich das sehr mitgenommen hat. Im positiven Sinne. Der damalige Freund und jetzige Ehemann hat ihr vor dem ersten Zyklus einen Heiratsantrag gemacht. Der Kinderwunsch konnte  nach der Therapie nicht erfüllt werden, war passe. Sie hatte 12 Zyklen zu durchstehen. Unfassbare 12. Und dann doch die Überraschung: Sie wurde schwanger. An solchen Geschichten kann man sich wieder aufrichten. Das Credo der Sendung: Realistische Optimisten haben die bessere Karten als die blauäugigen Optimisten. Optimismus schont einen auch nicht davor, negative Erfahrungen zu machen. Man darf nicht den Fehler begehen, zu denken, etwas „falsch“ gemacht zu haben, wenn man einen schlimmen Schicksalsschlag erleiden muss: evtl. nicht optimistisch genug gewesen zu sein. So wie: Scheiße, jetzt habe ich schon wieder Krebs, war ich wohl nicht gut drauf genug. Ich glaube, ich bin ein optimistischer Realist! 

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