Otak Udang

In ein paar Stunden geht es los, und ich habe wieder ein Garnelengehirn. Ich muss sagen, es widerstrebt mir sehr, in den zweiten Zyklus zu gehen. Ich fühle mich so gut. Als wäre ich gesund. Und sobald Rituximab ab 08.30 Uhr in meinen Adern fließt, fühle ich mich unwohl und krank. Es ist ungefähr so wie bei einem Zahnarztbesuch zur Kontrolle. Man hat nix, alles gut - und nach der Behandlung tut einem der ganze Mund, der ganze Kopf weh. Mein Boppel ist weg, könnte man da nicht die Therapie einfach abbrechen? Ach wäre das schön! Dann könnte ich mit der Exekution von Peter Schilddrüse gleich weitermachen. 

Heute habe ich Büroarbeit verrichtet und gekocht. Ein thailändisches Anti-Krebsgericht. Alles drin, was Krebszellen killt. Muss wohl lecker gewesen sein. Nici hat zwei große Teller weggebutzt. Also was wir an Gemüse und Obst täglich weghauen, das reicht für komplette zwei Fastfood-Familien. Der Entsafter war die Anschaffung des Jahres - was Nachhaltigkeit angeht. Wir werfen jetzt fast nichts mehr weg. ALLES wird verwertet. Manchmal schmecken die Smoothies nach der Flüssigkeit, wie man sie unten in der grünen Tonne vorfindet. Kein Wunder, dass das Krebs killt! Wenn mich das Lymphom in den nächsten 5 Jahren nicht umbringt, wird mich nichts mehr töten können. Corona-Delta-Variante? Lächerlich! Mein Büro ist wieder auf Vordermann. Noten sind auch eingetütet. War nachsichtig. Warum soll ich in meiner Situation die Schüler ärgern. Macht keinen Sinn. Hab immer die bessere Note erteilt. Sie werden dadurch keine besseren oder schlechteren Menschen. Aber es ist für mein Karma gut! Die Notengebungszeit hab ich immer als sehr stressig empfunden. Es entspricht so gar nicht meinem Naturell. Spielt es für das Leben tatsächlich eine Rolle, ob man eine Befriedigend anstatt eine Ausreichend erhalten hat? Ist man dadurch liebenswert, emphatisch, tolerant? Ich kenne Kollegen*innen, die lassen bei der Notengebung die Excel-Tabelle. entscheiden. 2,5 is dann halt eine 3. Pech! 2,4 eine 2. Glück! 2 Tests, eine mündliche Note, Zack, kriegste halt eine 4.  Ich fand das schon als Schüler merkwürdig.  Wirklich viel hat sich da in den letzten 50 Jahren nicht geändert. Notengebung ist Vertrauen, dass die Lehrer*innen schon wissen, was sie tun. Viele wissen es, einige eben auch nicht. Wie bei der Klimakrise traut man sich auch nicht in der Schule Grundlegendes zu verändern. Zu viel Aufwand, zu viele Ängste (vor Kontrolle). Wir bleiben bei den alten Mustern, weil wir sie gewöhnt und sie effektiv umzusetzen sind. Das ist ja nicht nur in der Schule so. Ich bin nun froh, dass ich das hinter mich gebracht habe. Noch bevor es mir nicht mehr so gut geht. Wer weiß, was ich da fabriziert hätte: Och kriegt der Kevin halt ne 1. Hat er auch mal nen bissel Freude im Leben, der Arme! 


08.30 Uhr

So kenn ich die Fahrt nach HD eigentlich: Stau, Stau, Stau. Es ist also alles wieder normal. Kein Homeoffice mehr, die Pandemie scheint besiegt. Trotzdem habe mich erst mal wieder testen lassen müssen und sitze hier, warte, beobachte und schreibe. Patientin schreit so laut auf saarländisch in den Telefonhörer. Telefoniert wohl mit einer Angehörigen und teilt ihr mir, dass sie in der Klinik bleiben muss. Es könnte sein, dass beide schwerhörig sind, so wie sie schreit! 

Die Fahrt war kurzweilig. Sollte sie auch sein, wenn man mit dem besten Freund unterwegs ist. Themen vielfältig: Frauen, Kinder, seltsame Freunde, Alkoholprobleme. Im Player Rammstein. Ich will...Ja, was wollen wir? Eine gute entspannte Zeit. Und das ich hier schnell wieder raus komme. Mal sehen...


08.45 Uhr 

Na super! Tagesklinik hat nur einmal Laborwerte vorliegen. Vom 07.06. Zwei fehlen also. Wer hat hier geschlampt? Bin ich froh, dass die Werte in Ordnung waren. Warum hat HD dann nicht reagiert. Ich bin da was anderes gewöhnt. Doc. hakt in der Praxis nach. Da fällt mir gerade ein: Ich hab sie ja abgespeichert...

Gut, dass wenigstens ICH organisiert bin. 


09.00 Uhr 

Echt interessant, die Gespräche zwischen den Patienten zu lauschen. Auch teilweise Lymphompatienten, mit einem aggressiven Verlauf. Die Dinger können riesig werden.

Sprüche:

Wenn man nicht kämpft, hat man schon verloren. 

Die Chemos heutzutage sind gar nicht mehr so schlimm.


10.00 Uhr 

Warte immer noch. Geht nichts. Nur ein Arzt anwesend. Zum Beginn des Zyklus gibt es immer erst ein Arztgespräch und darauf warte ich


11.00 Uhr 

War jetzt schon mal bei der Ärztin. Huch mal ne Schwarzhaarige, sonst sind sie meistens blond. Aber sie sah wie so viele wie 13 aus. Auf meine Frage: Wo klemmts denn heute, schaute sie mich irritiert an. Na, ich warte schon seit 08.15 Uhr. Nach einem kurzen „Entschuldigung“ ging’s auch schon weiter. 

Mein reduzierter Boppel hat sie völlig emotionslos zur Kenntnis genommen. Ich flipp bei der Erzählung dieses positiven Phänomens immer halber aus. 21.07. nächster Zyklus. 11.08. CT. Dann wird geschaut. Ob ich die Therapie gut vertragen habe, fragte sie. Jepp, habe ich. Als würde ich Husten-Bon-Bons schlotzen. Sie starrt auf dem Bildschirm und tippt. Vor mir sitzt eine Maschine. Aber vielleicht ist das ganz gut so. Eine Maschine macht keine Fehler! 


11.15 Uhr 

Portnadel liegt, yeah! Wieder warten. Sitznachbar hat auch ein Lymphom. Allererster Zyklus. Haben die Bollen ähnlich entdeckt wie bei mir damals. Bei mir Krebsvorsorge Urologe und bei ihm Krebsvorsorge Darm. Was sagt das uns? Leute, geht zur Vorsorge! Als ich ihm meine Geschichte erzähle, fängt er sichtlich an zu grübeln. Ich sehe ihm an, dass er das noch nicht so auf dem Schirm hat. Hatte ich ja damals auch nicht. Er wird die harte Dröhnung bekommen. Hier höre ich auf aus dem Nähkästchen zu erzählen. Möchte ihm nicht den Tag vermiesen. Muss er selbst durch! Ich hätte ihm aber von meiner Glatzen-Party vor der Chemotherapie erzählen sollen. Würde er eine Riesen Sauerei vermeiden. Warum gibt das den Patienten eigentlich nicht mit auf den Weg? 


11.30 Uhr 

Läuft! Fensterplatz! Herrlich, wie im Urlaub! Und wumms, werde sofort müde und muss mich ablegen. Gute Nacht! 


16.30 Uhr 

Alter Schwede ballert mich Rituxi wech, wie 3 Joints nacheinander, nur ohne Lachflash. 

Manne hat mich wieder geholt. Schweigen im Auto. Konnte nicht wirklich kommunizieren. Der Kill-Bill-Soundtrack hat abgelenkt. So ausknockt war ich in Runde 1 nicht. 

Macht mir auch Mühe, die paar Zeilen zu tippen. Werde mich jetzt wieder ablegen und hoffen, dass ich nachher halbwegs vom Spiel nachher was mitbekomme. 

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