Meine liebe Marion, herzlichen Glückwunsch, nachher gibt’s ein Kuss per Video-Call.
Leider können wir heute nicht nach Waiblingen fahren, um mit mit meiner Nichte ihren Geburtstag zu feiern. Nicole kann sich kaum bewegen. Muss eigentlich gerade im Stehen oder im Liegen leben. Wenn sie sich vom Boden ernähren müsste, würde sie verhungern. Freizeitgestaltung mit einem potentiellen Bandscheibenvorfall gestaltet sich äußerst schwierig, z. B. Nähstoff akkurat zum Zuschneiden auslegen. Plötzlich wird einem bewusst, wie wichtig ein intakter Körper ist.
Leckere selbst gebackene Kuchen verpassen wir heute bei Marion; sie ist eine absolute Backkönigin. Ach Marion! In der Familie früher Bibi genannt. Mein Papa hatte die Eigenart, uns Kindern und den Enkeln Spitznamen zu verpassen. Marion ist der Mensch, der mich in den letzten Jahren am meisten überrascht hat. Ich schäme mich, dass ich mich erst so spät zu einer Neu-Begegnung durchgerungen habe. Sie ist so ein herzensguter Mensch und steht mir / uns mittlerweile sehr nahe. Es zeigt wieder, dass das Leben auch viele gute Überraschungen für einen bereit hält. Man muss nur mutig genug sein und zuversichtlich bleiben. Hier bin ich Nici dankbar, die immer Interesse an meiner Biografie zeigt und mich mit ihrer optimistischen Art inspiriert, neue Wege zu beschreiten. Sie steht immer hinter mir, das macht sicher. Als Kinder waren Bibi und ich ein Herz und eine Seele, 5 Jahre sind wir auseinander. Der Familienrat hatte damals beschlossen, dass Marion, die Tochter meiner Schwester, die zur damaligen Zeit erst 15 war und zu sehr mit sich beschäftigt, in unsere Obhut kam. Schon damals war sie ein absoluter Sonnenschein, eine Frohnatur, kaum ein Foto, worauf sie nicht lacht. Und das hat sich bis heute gehalten. Für Menschen, die sie mag, die sie liebt, lässt sie alles stehen und liegen, ob am Tag oder in der Nacht. Schade, dass ihre Tochter Margarita das wohl nicht so sieht. Warum übertragen sich bloß immer Probleme in der einen Generation auf die nächste. Verrückt! Immer die selben Fragen nach Schuld und Verzeihen. Wir machen uns das Leben so oft unnötig schwer. Gibt es etwas Wichtigeres als Familie, gerade in der heutigen Zeit der Vereinsamung? Natürlich können die Charakteren in der Familie sehr unterschiedlich sein. Ein Zusammensein kostet manchmal viel Kraft und noch mehr Nerven. Das gemeinsame Blut zieht nicht immer automatisch auch Zuneigung und Liebe nach sich. Ich kann ein Lied davon trällern. Man kann sich durchaus wie ein Vater fühlen, auch wenn man nicht der Erzeuger ist. Man kann einen Menschen als „Bruder“ ansehen, auch wenn er nicht blutsverwandt ist. Man kann eine leibliche Schwester haben, die man nicht liebt, sondern mit ihr nur aus Anstand verkehrt. Was ist die Basis für jede Art von vertrauensvoller Beziehung, egal ob familiär oder nicht-familiär: Verständnis, Respekt und ein tiefes Gefühl von Verbundenheit. Wenn das alles nicht mehr vorhanden ist, dann ist es aus und vorbei. Es ist von unschätzbarem Wert - wie wir alle jetzt schmerzlich erfahren haben - ein Netzwerk von zugewandten und hilfsbereiten Menschen zu haben. Ohne sie sieht man ganz schön alt aus. Alleine ist man ein Nichts! Also lohnt es sich, hin und wieder über seinen eigenen dunklen Schatten zu springen. Wir geben oft viel zu schnell auf und überlassen Vorurteile das Spielfeld. Treten nach oben und treten nach unten. Wollen ständig den anderen verändern, die eigene Macken soll dann aber jeder bitteschön akzeptieren. Ich bin so froh, dass Marion und Michele nun ein fester Bestandteil unseres Lebens sind. Was hätte ich verpasst, wenn ich nicht meinen Stolz überwunden hätte.
Also Margarita und Marion gibt euch einen Ruck, versucht es nochmal, kämpft, versucht aneinander zu verstehen, verzeiht euch! Es könnte sich lohnen.
Bemerkenswerte Nachtcafé-Sendung gesehen gestern. Interessante Gäste. Einer meiner Lieblingsphilosophen (Wolfgang Schmid) erklärt die Welt. Sein Büchlein „Gelassenheit“ sehr empfehlenswert. Der letzte Gast hat mich am meisten berührt/ bewegt. Ein junger Mann, der bei einer Feier in Stuttgart K.-o-Tropfen bekommen hat und auf dem Dach einer S-Bahn in Sindelfingen gefunden wurde, völlig verbrannt. Bis heute weiß man nicht, wie er da hingekommen ist. Einen Arm und beide Beine hat er durch die Umstände verloren. Wie dieser sympathische Kerl über sein und das Leben generell philosophiert, wie er lachend Gutes in die Welt trägt, andere mit seinem Tun motiviert, wie er seine Krisen „affirmiert“, so Schmid, hätte man nicht ansatzweise für denkbar gehalten. Das Thema der Sendung: das zweite Leben. Ich fühle ähnlich. Aber bei mir ist es nicht das zweite, sondern das dritte. Wie sagte Schmid: Der Mensch trägt nicht nur ein Icke in sich, sondern mehrere. Somit sind auch mehrere Leben möglich. Es braucht nur die geeignete Situation, um das entsprechende Ich/Leben zu aktivieren. Was Icke genau mit mir vor hat, muss ich noch herausfinden. Ich vermute, mit Schule hat es nichts zu tun. Wenn ich mir vorstelle, dass Icke noch Kumpels zu mir einlädt, na dann gute Nacht!
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