Normalerweise habe ich immer einen groben Plan, wenn ich mich an den Blog setze und schreibe. Eine Idee, ein Impuls, einen Rahmen - und dann geht es los. Diese Zeilen hier gerade sind ein Indiz dafür, dass ich keinen Plan zurzeit verfolge.
Ist es in meiner Situation jetzt ein gutes Zeichen keinen Plan zu haben oder ein schlechtes? Ich komme mir vor, wie in der 2. Sommerferienwoche, wenn ich den Tag ohne Terminstress und sonstige Verpflichtungen auf mich zukommen lassen kann. Morgens aufwachen, sich treiben lassen und spontan entscheiden, was man Schönes tut, ist das Paradies auf Erden.
Es sind dann immer die kleinen Dinge, die einem Befriedigung verschaffen: ein Pflänzchen umtopfen, einen Brief schreiben, eine Partie Schach mit einer neuseeländischen Internetbekanntschaft spielen oder ein leckeres Rezept raussuchen, dass man dann abends gemeinsam ausprobiert. Das Glück kann manchmal sehr klein daher kommen.
Was bietet der Tag heute für mich? Garten und schönes Wetter! Gebongt! Blogalternativen suchen! Gebongt! Und ich will nochmal Tschick schauen! Der richtige Film, wenn man keinen Plan hat. Auch ein Hinweis dafür, dass es mir gut geht. Ewig scheint es her zu sein, dass ich das Bedürfnis verspürt habe, einen 90 Minuten-Film anzusehen. Ja, mir geht es gut. Mir geht es so gut, dass ich einen stressigen Schultag überstehen könnte. Aber Schule ist dann doch zu weit weg und überhaupt nicht mehr wichtig. Ja, mir geht es sogar sehr sehr gut: Ich habe gestern das Haus komplett geputzt, alle 3 Stockwerke, den Keller aufgeräumt und den Garten ein wenig aufgehübscht. ALLES hat mir Freude bereitet, weil ich es wieder kann, ohne Fatique! Seit es am 26.05. mit Rutiximab los ging, war es der erste Tag, an dem ich nicht so unendlich müde wurde und mich akut hinlegen musste. Sich kraft- und saftlos zu fühlen, ist furchtbar. Und heute? Heute hab ich nur furchtbaren Muskelkater. Den schönsten Muskelkater meines Lebens.
Dass der Blog nicht mehr funktioniert, nervt. Es fehlt etwas, mein Geschreibsel im Internet nicht veröffentlichen zu können. Mittlerweile lesen ja ein paar Menschen kräftig mit und sind irritiert, weil nichts mehr geht. Der Support von Jimdo ist dran. Soll kompliziert sein. Die melden sich nur auf Nachfrage und ich habe schon oft nachgefragt. Immer die gleiche Antwort: dauert! Vielleicht fällt mir selbst ja noch eine Lösung ein. Hab schließlich 2 Blog-Einträge daliegen, 3 mit dem heutigen. Ein Eintrag davon, der mir sehr am Herzen liegt: meinen Brief an Anna.
Meine liebe Nichte Marion mit ihrem Mann kommen aus Waiblingen heute zu Besuch. Waren noch nie da. Morgen verbringen wir den Tag zusammen. Da freue ich mich sehr darauf. Wir sind die einzigen aus unsere Ursprungsfamilie, die noch einen regelmäßigen Kontakt pflegen. Marion ist ein absoluter Sonnenschein. Es ist unmöglich, in ihrer Anwesenheit schlecht drauf zu kommen. Tja, dann noch „Yoga bei Krebs“ im Lazarettgarten, meine erste Stunde. Einzelunterricht. Da bin ich auch sehr gespannt. Die Kommunikation war sehr freundlich und unproblematisch.
Tschick war wieder herrlich. Ein schöner optimistischer kluger Erwachsenwerdfilm. Herndorf hätte bestimmt eine Fortsetzung geschrieben: Wie die Freunde sich 2066 wiedersehen z. B.. Schade! Er hätte bestimmt noch viele gute Bücher geschrieben. Es wird mir fehlen, solche Themen mit Jugendlichen im Unterricht durchzunehmen. Es ist ein tolles Gefühl, sie zum Staunen zu bringen oder Emotionen bei Ihnen hervorzulocken. Aber wie man an meinen Erfahrungen in letzter Zeit wieder sieht, ist das auch bei Erwachsenen eine große Herausforderung. Man glaubt immer, dass es Kriege nur gibt, weil die Emotionen außer Kontrolle geraten. Ich glaube, es gibt Kriege, weil zu wenig davon in Schulen gelehrt und gelebt wird. Der Satz des Pythagoras oder eine Konjugationstabelle lässt einen noch lange nicht zu einem friedvollen konfliktfähigen Menschen werden. Eine Schweigeminute, die thematisiert und von der ganzen Schulgemeinschaft abgehalten wird, scheint mir da nachhaltiger zu wirken.
Die Yogastunde. Corona-Luxus pur, weil ganz alleine. Die Lehrerin, eine Yoga-Frau wie man sie sich vorstellt: schlank, drahtig, kaum Brust, gelenkig, grazile. Aber seltsamerweise nicht unsicher in der Stimme, sondern unsicher im Blick. Der war hektisch blinzelnd und mir nicht ausreichend zugewandt. Ich fühlte mich in der letzten Zeit zwar wie Quasimodo, sehe aber hoffentlich doch nicht so aus. Dann hätte ich das Abwenden des Blickes ja verstanden. Auf mich hat ihr Defizit eher sympathisch gewirkt. Wenn der Blick von Frau Yogi auch noch standhaft geblieben wäre, wäre das alles ein wenig zu perfekt gewesen. Das Studio lag in einer hübschen Parkanlage, langweilig meditativ eingerichtet: Buddha, Kerzen und indische Schriftzeichen. Ich würde so ein Yoga-Studio mit Naturaufnahmen und Naturmaterialien bestücken. Türen zur wunderschönen Terrasse waren auf, man hörte Vögelgezwitscher, fast so laut wie in Böchingen. Maske durfte ich ablegen. Darüber war ich sehr dankbar. Ich doppelt geimpft und sie einfach. Anamnese. Mein einziges Stichwort lautete hier: Wrack!!! Zwischen ihren hektischen Augen grinste sie hindurch. Fügte hinzu, dass ich gerade überall Löcher habe, wo sie nicht hingehören, mich ein Tennisball ärgert, der ständig ploppt, sich eine kleine Murmel in der Leiste befindet und Icke im Kopf als Untermieter haust, der gerade an der Ostsee im Urlaub ist. Nun grinste Miss Yogi nicht mehr, sondern sah eher fragend entsetzt aus. Sie übersprang diesen irren Teil und betete die Vorzüge von Yoga bei Krebs runter. Gääähn! Leuchtete mir alles ein, sonst wäre ich ja erst gar nicht gekommen. Wonderwoman hatte schon für Bewegung, Bewegung, Bewegung plädiert. Die Yoga-Lehrerin hatte eine Fortbildung in Köln belegt, praktiziert schon 10 Jahre Hatha-Yoga und der neue Flyer wäre noch nicht fertig. Nach dem Gespräch versuchte ich mich elegant in Richtung Matte zu bewegen, was natürlich total in die Hose ging. Ich fragte mich, ob sie meine laut- knackenden Körpergeräusche auch wahrnahm und dachte, dass sie denkt, was für ein ramponierter hoffnungsloser Fall ich doch bin. Ich verfehlte die Matte knapp, kullerte an ihr vorbei und versuchte daraufhin mich irgendwie in die von ihr gewünschte Position zu bringen. Nach mehreren Sitzhilfen war sie mit meiner Haltung einigermaßen zufrieden. Ich konzentrierte mich, nicht von dem dargereichten Rundkissen runter zu rollern und mir nicht das Steißbein dabei evtl. zu brechen. Im Hintergrund zwitscherte es und leise indische Meditationsmusik erklang. Ich fragte mich, warum kann man mal nicht Traditionen aufbrechen und claire de lune von Debussy oder etwas von Ludovico Einaudi auflegen. Das höre ich immer, wenn ich entspannen möchte. Ich hätte das ganze Jahr im Voraus gebucht, hätte ich diese Musik jetzt gehört. Wir starteten mit der Übungseinheit: viel erden, viel dehnen, tiefes einatmen, lautes ausatmen, alles sehr langsam und sehr bewusst. Ich fühlte sofort, dass mir es gut tat mich so zu bewegen, aber es auch überall zwickte, kniff und knuff. Beweglich ist absolut keine Bezeichnung, die auf mich zutrifft, zumindest körperlich. Steif, starr, fest trifft’s da eher. Mir ist es ein Rätsel, dass ich in einem so zerbombten Zustand überhaupt noch den Sexualakt vollziehen kann. Hormone bewirken da wohl wahre Wunder! Da Icke nicht zugegen war, konnte ich mich tatsächlich auf die Übungen konzentrieren. Die Lehrerin hatte eine beruhigende Stimme, war aber sehr leise, so dass ich ihre Anweisungen häufig nicht oder miss verstand. Wollte sie nicht korrigieren. Eine Yoga-Meisterin korrigiert man nicht, das gibt schlechtes Karma. Ich schaute ab. Außerdem hatte sie eine Rechts-links-Schwäche. Was natürlich zu Irritationen meinerseits führte. Mein Hirn musste also ihre Anweisungen und mein Abschauen in Einklang bringen. Nicht so einfach, aber man will ja nicht in den ersten paar Minuten völlig versagen. Ich haute mich also rein. So rein, dass ich bei einem Positionswechsel von rechts nach links, äh sorry, doch links nach rechts fast in Ohnmacht fiel und um eine Minute Auszeit bat. Mir schoss durchs Hirn: Reanimation hier im Yogastudio - was würden da die Leute wohl denken und sagen. Als ich mich sammelte und die heilige Johanna von Yogi die positiven Auswirkungen auf Faszien und Lymphe hervorhob, ging es mir schon besser. Ich spürte regelrecht wie der Stoff der verklebten Faszien und die Lymph-Flüssigkeit in meine Blase abfloss. Ich musste mal wieder dringend aufs Klo. Na super! Die abschließende Abschlusssequenz mit Körperreise half mir, mich von meinem Blasenproblem abzuwenden. Ich lauschte der säuselnden Stimme von Susi aus dem Off, wie sie mit mir vom rechten Großzeh bis zu meinen linken Nasenflügel spazierte und entschied, dass alles an mir pure Entspannung ist. Ich tat was mir befohlen wurde und entspannte mich pur. So pur, dass ich nach nur 30 Sekunden in einen Tiefschlaf verfiel, die Backen im Rhythmus aufblasend wie bei einer Kröte. Ein ätzendes Klangspiel neben meinem Ohr holte mich in die Realität zurück. In vergaß zu erwähnen, dass ich in der Anamnese diesen besonderen Umstand bereits ansprach: Bei Hatha-Yoga schlafe ich am Ende immer ein. Das sorgte damals in der Reha schon für neidische Blicke. Wenn ich ehrlich bin, ist das der Grund warum ich dieses Yoga so gerne mag. Die Unterscheidung, was mich dann fiter gemacht hat, die Dehnübungen oder der Powernab, fällt mir schwer. Beim Physio, in der Fango, penne ich auch regelmäßig weg. Wenn es mir gut geht, und mir ging es in den letzten 9 Jahren meistens gut, kann ich überall und sofort einschlafen. Ob als Beifahrer (Gott sei gedankt nicht als Fahrer!) beim Arzt im Wartezimmer oder im Büro. Ding, Dong, weg! Ich habe schon oft gedacht: Ist dies nicht ein Maßstab für psychische Gesundheit. Aber man darf hier natürlich nicht außer Acht lassen: Ich bin Beamter. Sekundenschlaf steht da im Anforderungsprofil. Ich rüttelte und schüttelte mich, machte sogleich einen Termin für die nächste Woche aus und bot Lady Oooommmm an, die vereinbarte kostenlose Schnupperstunde ebenso zu erstatten. Trotz links-rechts-Schwäche und nach unten oder oben gewendeten hektischen Blicken, hat sie ihre Sache doch sehr ordentlich gemeistert. Das sollte honoriert werden. Außerdem wird ja hoffentlich mein Anliegen, mit Yoga schneller zu gesunden, von der Beihilfe unterstützt werden. Sie lehnte nicht ab, was mir bestätigte, wie sinnvoll mein Angebot war. Corona ist so verdammt unfair und bereitet immer noch vielen Menschen großen Kummer, wenn auch „nur“ finanziell.
Im Auto angekommen, sinnierte ich noch 3, 4 Minuten: Mann Schnur, was ist hier eigentlich los. Das gibt es doch nicht. Es ist alles wieder so normal in diesem unnormalen Wahnsinn. Ich bekam es nicht auf den Appel, dass es mir so gut geht, und welches elitäres Leben ich hier eigentlich gerade führe. Ich habe mir eine Krankheit eingefangen, die mich ohne Behandlung zeitnah töten wird, wann immer das auch sein würde. Die Therapie ist sehr unangenehm, aber zu bewältigen. Und was ist der Status Quo: Ich liebe gerade alles und jeden. Bin ganz bei mir. Habe mich sogar mit Icke versöhnt. Ich werde jeden Tag dafür bezahlt, dass ich geile Sachen machen darf. Es ist mir tatsächlich etwas peinlich, bedauert zu werden. Es gibt Gesunde, die sind erheblich mehr hinüber als ich. Da scheint vordergründig alles in Ordnung, ist es aber nicht! Ich bin immer noch auf der Sonnenseite unterwegs. Diesmal weckte mich nicht ein Klangspiel, sondern ein tobender Nachbar, der mich massakrieren wollte, weil ich ein kleines Stück in seine Einfahrt hinein geparkt habe. Ich griff ins Handschuhfach, setzte mir meine rote Clownsnase auf, die ich von Hirschhausens Stiftung „Humor hilft heilen“ für solche Zwecke extra erstanden habe, grinste den Nachbarn jokermäßig an, ballerte ihn aber nicht um, sondern brauste glücklich und zufrieden mit dem Gefühl davon, wieder mal einen Sieg davon getragen zu haben. Humor hilft heilen: auf jeden Fall mich.
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