Rückblick und Ausblick Teil 1

3 Tage Therapie hinter mich gebracht.  Tag 1 mit Rituximab hat mich am meisten geschlaucht. Udo und mein verstorbener Bruder würde sagen: Das hat total reingeballert, Alter! Im Laufe des Abends und der Nacht hatten sich aber alle Nebenwirkungen langsam gelegt. Bendamustin ist anfänglich eher harmlos gegenüber Rituximab, beeinträchtigt dann aber im Nachgang: Nach 2, 3 Stunden Schlaf,  scheint es so, dass Benda erst so richtig Lust hat, mir die Sinne einzutrüben. Der Klogang macht konditionell erheblich Mühe, Augen brennen, Port juckt, Hirn komplett im Nebel, leichter Schmerz an den Außenschläfen und ein ständiger metallener Geschmack im Mund. Fühlt sich alles sehr merkwürdig an, vor allem, wenn man vor ein paar Wochen noch dachte, dass man top fit ist und den Mount Everest hätte hoch rennen können. Wie ist es möglich, dass Menschen nur mit Dauerkopfweh existieren können. Ich würde keine Woche durchhalten. Aber man gewöhnt sich ja irgendwie an alles. Alles erträglich und im Vergleich zu vor 10 Jahren ist das alles ein Kindergeburtstag. Einschränkungs- und Erträglichkeitslevel steht bei  3 von 10. Bei 10 bin ich tot und trink mit Timo Schorle am See.  Psychisch bin ich jetzt endgültig als Patient angekommen. Das Uni-Klinik-System hat mich wieder. Schnell habe ich mich dort eingefunden und angepasst. Ich gehöre wieder zum klinischen Inventar. Beobachte alles ganz genau, bin witzig und freundlich und nerve die Pflegekräfte und Ärzte mit Fragen. Checke gleich, wer einen Plan hat und wer nicht, wer seinen Job gern macht oder nicht, wer beliebt ist oder wer nicht. Bis jetzt habe ich nichts zu beanstanden. Alle, die sich in der Tagesklinik um mich gekümmert haben, waren sehr zuvorkommend. Eine Asiatin ist für mein Dafürhalten etwas zu forsch und wenig sympathisch. Marke kleine hektische Zeitbombe. Die raunzt den Dienst habenden Arzt wegen Kleinigkeiten an oder meckert mit dem halbtoten Opa, weil er aufgrund von Parkinson nicht still halten kann.  Es ist für mich immer sehr schwer, sowas mit anschauen zu müssen. Und ich kann nicht in den ersten Tagen gleich den ganzen Laden aufmischen.  Ich habe dem lieben Opa beim Klogang Mineralwasser gebracht. Habe versucht, ihn mit einem aufmunternden Lächeln zu beschenken. Mehr konnte ich leider nicht für ihn tun. Die Asiatin hätte ich gern mit einem Bruce-Lee-Handkanten-Schlag niedergestreckt und ihr Rituximab und Bendamustin in Kombi verabreicht. 

Die anderen Patienten wollen meist ihre Ruhe haben, tippen auf ihrem Handy, haben Stöpseln im Ohr, schauen Fernsehen oder dösen vor sich hin. Ich würde gerne ihre Geschichten wissen. Sie sehen aber alle so traurig aus, dass man sich nicht traut, den Schmerz heraufzubeschwören. Außerdem liegt man sehr weit voneinander entfernt.  Man müsste brüllend Fragen stellen, was bei leidenden Krebspatienten nicht immer so gut ankommen würde bestimmt. Hallo Sie da drüben, an welchem Scheiß, könnten Sie denn sterben? Brüll! Oh, ihr Zeug sieht ja cool aus, was isn das? Brüll brüll! 

 

Die Playlisten waren eine gute Idee für mich. Aber wohl auch für ein paar Mitgestalter. Kräftig wurde gerätselt, wer jetzt diesen einen oder anderen Song „hergeschenkt“  hat. In den Nachrichten habe ich auch gemerkt, dass manchmal der dahinter verborgene Sinn nicht so richtig erkannt wurde und die Playlisten nur zur eigenen Beschallung und Bespaßung verwendet wurde; man die einzelnen Songs viel zu kritisch beurteilte. Hier gibt es nichts zu beurteilen. Alle Songs haben ihre Berechtigung, weil sie Geschenke für mich sind. Ich habe mir im Laufe des Tages alle angehört: geschmunzelt, geträumt, gelacht und hatte bei vielen schöne Assoziationen mit den Schenkern. Die  Songs haben mich von dem ganzen Wahnsinn mehr als nur abgelenkt. Wenn man das Lieblingslied von Klein-Benny und Klein-Pauline hört, (der goldene Käfig von Helge Schneider) wie kann man da an Schmerz und Tod denken. Selbst Cordula Grün konnte ich was abgewinnen. Bin vor 1400 Jahren wohl bei Festen im Vollrausch auch dazu umhergesprungen. Die Oma, die mir gegenüber saß, hat sich bestimmt ziemlich gewundert, warum der Typ mit Kappe und Bart ständig blöde vor sich hin grinst. 

 

Ich habe nicht nur dem Opa Wasser gebracht, sondern auch ständig Wasser gelassen. Das ist es, was mir am meisten von dem vergangen Therapie-Trip hängengeblieben ist: dieses vermaledeite Dauerpinkeln. Überall und immer. Ständig muss man sich entkabeln, abstecken und sich rollend angestrengt auf den Weg begeben, um sich zu dann mühsam zu erleichtern. Entweder suche ich ständig was, weil die Chemo meine Rübe noch weicher kloppt, wie sie eh schon is oder verbringe einen halben Tag auf irgendwelchen Toiletten, oder wie gestern, hinter einem Busch, weil Gefahr in Verzug ist. Die angefahrene Tankstelle hatte das Klo wegen Pandemie geschlossen. Am liebsten hätte ich unmittelbar über die Raider und Milky Ways gepieselt. Hab mir schon überlegt, ich kette mir einfach eine Bettflasche an die Hose, hol IHN bei Bedarf raus, stülpe IHN ein wenig nach rechts oder links (Richtung muss ich mir noch überlegen!) und lass es bei Bedarf einfach laufen. Hey, Muttis geben ihre Babys in der Öffentlichkeit auch die Brust, dann kann ich es doch auch einfach in eine an mir runter baumelnde Bettflasche reinlaufen lassen, oder etwa nicht. Schließlich bekomme ich auch bald wieder einen Behindertenausweis. Bin gespannt, mit wie viel Prozent es diesmal wird. Pinkeltechnisch bin ich bei 85 Prozent.

Man soll ja viel trinken, um die ganzen Medikamente raus zu spülen, heißt es. Ich trinke gern, aber liebe Leute Schorle verdammt! Da macht jeder Klogang für mich mehr Sinn und wird auch von Mal zu Mal lustiger. 

 

Die Taxi-Fahrerei hat auch wunderbar funktioniert. Auch das ist schön. Ich kann nur empfehlen, lernt Menschen kennen und redet mit ihnen, hört ihnen vor allem wenn möglich zu, stellt Fragen, seid anwesend. Es ergeben sich oftmals tolle Impulse für einen selbst. Mal intellektuell oder auch ganz bodenständig-praktisch. Wie es sich eben gerade ergibt. Da reichen die zwei Stunden fast nicht aus.  Man möchte zuhause am liebsten nen Fläschchen entkorken und einfach weiter gemütlich über alles Mögliche quatschen. Ich bemühe mich immer beim Fahren nicht ganz wegzudrullern, weil ich wach bleiben möchte. Ich möchte wahrnehmen. Es sitzt tief in mir drin, die Furcht, zu wenig Zeit für Wahrnehmung zu haben. Heute Morgen habe ich einen Eichelhäher in unserem Garten gesehen und beobachtet. Der war vielleicht bunt und schön. Hat aus unserem Vogeltrog das Wasser aufgepickt. Nur ein Vogel, ein sehr schöner zwar, aber nur ein Vogel. Und er bewegt viel mehr in mir, als so manche Begegnungen mit Menschen. Es ist unser aller Fluch in der westlichen Welt: Wir nehmen uns nicht mehr genügend Zeit für uns selbst und für andere, für Wahrnehmung und stille Beobachtung. Wir lenken uns ständig ab, betäuben unsere Sinne mit allem möglichen unnötigem Müll. Wie sehr blüht man auf, wenn man auf jemanden trifft, der ganz ehrlich nett und fürsorglich mit einem umgeht. Der wahres Interesse zeigt und es nicht nur heuchelt. Sowas trägt.  Meilenweit! Oder ein ein Vogel am Wassertrog. Verkaufszahlen, Aktenberge oder Shoppingtouren tragen nicht, die erschweren einem eher die Leichtigkeit des Seins. 

 

Bruno und Uli, danke dafür, dass ihr mir eure Zeit und eure Aufmerksamkeit geschenkt habt. Es hat Spaß gemacht, mit euch über die Straßen zu schippern. Gut, Schwiegerpapas elektronisches Navi hatte gleichzeitig Alzheimer und Demenz; sein menschliches war in Speyer auch ein wenig indisponiert. Und Uli könnte sich überlegen, an ihrem Auto ein Findemichineinemblödenparkhausvorrichtung zu installieren, sonst könnte es sein, dass Chris oder Nici uns mal völlig psychotisch vor uns hin stammelnd in HD einsammeln müsen. 

 

Ausblick. 

 

Bis zum 23.06. habe ich jetzt Infusions-Ruhe. Muss nur ein paar Tabletten nehmen und aufpassen, dass ich keinen Infekt bzw. Fieber bekomme. Wieder die verhassten Tabletten. Zwar keine 18 an einem Tag mehr wie beim letzten Mal. Aber jede beschissene Tablette ist eine zu viel. Ich bin ja wahrlich kein Pienser (für die Nichtpfälzer unter euch: Das ist ein Jammerlappen), aber die Therapie von vor 10 Jahren und die Tablettensucht meiner Mama haben mich tablettentechnisch traumatisiert.

 

Gesunde Ernährung und reichlich Bewegung an der frischen Luft wären auch sinnvoll. Klar, immer gut, auch für die Gesunden unter uns. Liebes IS-Gelenk mach mir da bitte keinen Strich durch die Rechnung, ja! Ich habe gestern eine E-Mail von einer Yoga-Lehrerin erhalten. Sie bietet Yoga bei Krebs an und könnte mir Einzelunterricht erteilen. Das mach ich! Kann ich ja bestimmt bei der Krankenkasse einreichen. Bin ja schließlich im Arsch! Ein wenig tun mir die Krankenkassler leid. Müssen die schon wieder einen Haufen Holz für meine nicht mögliche Heilung löhnen. Also meinen monatlichen Beitrag habe ich sowas von dicke raus. Kommt darauf an, wie lange ich es machen werde, dann vielleicht sogar irgendwann doppelt. 

 

Besuche! Da freu ich mich sehr drauf. Zuerst meine Nichte Marion mit ihrem Mann Michele, die in der Palz urlauben (Burrweiler Mühle ist gebucht!) und dann ist Anna wieder im Land. Hurra! Das gibt mir nochmal ein paar Körner zurück. Irgendwo dazwischen muss ich die Noten und den Abschiedsgruß an die Schüler einschieben. Mir fällt es gerade sehr schwer „Büroarbeiten“ zu verrichten. Vor ein paar Wochen noch war das überhaupt kein Problem. Ich setze mich lieber an ein Gedicht, das meine Emotionen als Kranker zum Ausdruck bringt oder stelle eben Playlisten zusammen, lese und höre Bücher, schreibe Karten, Emails und Briefe. Verbringe Zeit mit Nici und wurschtel im Garten. Da ist jede Minute, die wir zusammen haben, kostbar. Ein schöner Nebeneffekt: Gesundwerdung mit allen Sinnen. Ja Nici! Ich hoffe, ihre Schlafstörung bessert sich. Heute Nacht hat sie dank der App „Calm“ wenigstens mal mehrere Stunden tief geschlafen. Nicht nur sie war da unendlich froh. Ich muss einigermaßen wieder gesund werden und Lebenszeit raus holen, aber sie muss auch gesund bleiben. Ohne sie schaffe ich es aus diesem Martyrium nicht noch einmal heraus. Unmöglich. Sie gibt mir so viel Kraft. Ich weiß manchmal gar nicht, woher sie diese nimmt. Meine Erfahrungen als Hospizbegleiter (wenn man da überhaupt von Erfahrungen sprechen kann) sagen mir, dass Angehörige von schwer Kranken meist in allem zu kurz kommen. Im Prinzip müssen da immer gleich mehrere Menschen wieder ins Leben zurück finden und sowohl medizinisch als auch psychologisch betreut werden.  

 

13.22 Uhr 

Ich bin wahnsinnig erschöpft. Ohne was zu tun, habe ich das Gefühl, ich hab 20 km und 800 hm in den Knochen. Ich glaube, ich habe mich etwas zu früh gefreut. Die 3 Tage Antikörper- und Chemotherapie setzen mir doch ganz schön zu. Muss aufpassen, mich nicht zu übernehmen und mich bemühen, die übrig gebliebenen Kräfte gut einzuteilen. Warum können die klugen Medizinmänner nicht was erfinden, was die Tumorzellen tötet, aber einen so drauf bringt wie auf Koks: Krebs, aber durchvögeln und durchtanzen bis der Tag anbricht. Das wärs doch! Ich frag das nächste Mal bei Wonderwoman nach, in wie weit die Forschung da ist. Notiz in der To-do-App: Wonderwoman vögeln. 

 

Garten und Grillen. 

Fleisch – kein rotes – gibt es jetzt nur noch Bio und am Wochenende. Dazu gegrillte gefüllte Süßkartoffeln. 

Leider schmeckt jetzt alles ziemlich komisch. Auch das kenne ich noch: dieser ständige metallene Geschmack im Mund in der Therapie. Ein Atommüllendlager im Rachenraum sozusagen. Starke scharfe Gewürze soll ich meiden. Kein Problem, produziere ich dauerhaft selbst. Morgen möchte ich mit Nici und den Pälzer Buwe ein Schlückchen Schorle probieren. Mal schauen wie das kommt. Ständig Salbeitee süffeln ist mit der Zeit echt öde. Und was hat Wonderwoman so schön zur Ernährung gemeint: Herr Schnur, Sie können sich wie ein durchschnittlicher Deutscher ernähren. Schimmeliges Brot sollten Sie aber vermeiden. Also: Schorle ohne schimmeliges Brot geht. Perfekt!

 

 

 

 

 

 

Ein magischer Moment, von Nici in Böchingen heute eingefangen. 

Leider nicht von uns aufgenommen. Aber trotzdem schön anzusehen.
So ein Exemplar habe ich heute in unserem Garten gesichtet. 
Schön so ein Garten! 😊

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