05.00 Uhr
Die Stunden, die ich schlafe, schlafe ich fest und gut. Ich habe keine Panik, dass ich da zu kurz komme, weil ich mich vormittags immer ausruhen kann, wenn ich erschöpft bin. Bei Nici ist es etwas Anderes; sie muss Leistung bringen. Krankschreiben kann sie sich auch nicht, da ihre Behörde umstrukturiert wird und sie diesbezüglich eine wichtige Rolle einnimmt. Außerdem muss sie sich neue Aufgabengebiete aneignen. Ausgerechnet in unserer belastenden Situation fordert sie der Job sehr. Leider kann man sich passende Situationen nie zurechtlegen. Ich habe mich an das Patientendasein wieder schnell gewöhnt wohl. Manchmal wundere ich mich selbst über meine Anpassungsfähigkeit und Konsequenz, zumindest in der Hinsicht. Schule ist ganz weit weg. Leider muss ich mich nochmal darauf konzentrieren: Meine Noten sind fertig zu machen und weiter zu geben. Eine Rede für die Abschlussfeier möchte ich auch noch gerne schreiben. Eine Kollegin wird sie vortragen. Ich muss das nicht tun, aber es ist mir ein Bedürfnis, die Schüler*innen aus meinen Stufen gebührend zu würdigen und zu verabschieden. Sie liegen mir immer noch am Herzen. Das einzige, was mir an Schule noch wichtig ist. Das Lehren, das Unterrichten, der Umgang mit den Kids ist für mich noch das einzige Richtige, Wahrhaftige. Alles andere ist Show, sind Eitelkeiten und Überempfindlichkeiten. Alles was ich gerade in meinem Leben nicht brauche. Werde ich das Schauspiel irgendwann nochmal tatsächlich benötigen? Ich denke nicht. Hoffen tu ich es insgeheim noch mehr. Was ist wirklich wichtig? Geld? Prestige? Lebensqualität? Für welchen Preis? Welche Qualität des Lebens ist da erstrebenswert? Es stellt sich heraus, dass man viel weniger zum Ausgeglichensein und zum psychisch gesunden Menschen benötigt. Konsum hilft da einem de facto kein Stück weiter. Gehaltvolle Gespräche und die schöne Natur vor der Haustüre schon. Beides gibt es umsonst. Da backt ein toller Franzose ein leckeres Brot und teilt es mit einem auf dem Felsen, hört einem aufmerksam zu und zeigt sich betroffen. Nur das berührt, gibt einem Kraft, sonst nichts. Das WIR und das UNS ist mehr denn je wichtiger als das ICH. Natürlich stelle ich mein ICH hier in diesem Blog ganz gewaltig zur Schau, und wenn mein Brief an Timo einige Menschen tief bewegt und etwas Gutes auslöst, dann freut es mich sehr. Ich werde trotzdem parallel auch immer das WIR und UNS hochhalten. Darauf kommt es schließlich an. Ich möchte NICHT ALLEINE sterben. Ich möchte das man mich hält, von allen Seiten und mich, wenn die Zeit gekommen ist, los lässt von allen Seiten. Und hierfür ist viel Solidarität und Stärke notwendig. Das ist mein Auftrag!
09.00 Uhr
Ich wundere mich sehr. Es ist fast so, als hätte ich gestern kein reines Giftzeug erhalten. Doch Hulk! Yeah! Bloß Hulk mit einem massiven Gelenkproblem. Wie wäre es mal mit einer Inklusions-Hulk-Verfilmung: Hulk im Rollator rettet die Welt. Also ich würde ins Kino rennen, äh, rollen...
Habe gerade eine Wahnsinns-Playliste entdeckt. The Good-Doctor-Soundtrack.
Das ist meine Vor-Chemo-Playliste für heute Morgen. Ab 14.00 Uhr läuft dann eine noch viel bessere.
Hammer, was mir da von Familie, Freunde und an mich denkende Menschen zugesandt wurde. Selbst Klein-Pauline und Klein-Benny sind mit einem Song vertreten. Ich glaube, die rufen während meiner Sitzung nachher die Jungs und Mädels in den weißen Turnschuhen und verfrachten mich in die Geschlossene, weil ich zwischen Heulkrampf und Lachanfall ständig schwanke und mir vor lauter Körperbeben die Portnadel rausspringt. Aber ich freue mich auf das Abenteuer. Egal. Ich fliege selbst für diese Mega-Playliste über das Kuckucksnest.
Wenn ich jemand vergessen habe, dann bitte melden. Ich habe die Songs gestern nach bestem Wissen und Gewissen eingepflegt. Alles auf Spotify gefunden. Vielleicht die eine oder andere nicht gewünschte Version. Aber das macht nichts: Das Symbol zählt.
Es wird jetzt einfach schön sein: Während mir dieses Wundermittel (ich muss ja die Medikamente positiv visualisieren!) reinläuft, habe ich die "geschenkte" Mucke von einem lieben Menschen im Ohr und verbinde damit ganz bestimmte Bilder. Wenn das nicht hilft, weiß ich auch nicht. Auch wenn es nicht wirken sollte, hatten wir alle für einen kurzen Moment unseren Spaß und waren uns nahe.
Sehr spannend, wie da die einzelnen Charakteren an die Aufgabe gegangen sind (da lugt ein klein wenig der Lehrer aus dem Fenster, merkt ihr es):
- Zack, war das Lied da.
- mehrere nachfragen: wie, was, wann, wo...hä?
- Aufgabe löste einen kognitiven Notstand aus.
- Lieder kategorisiert
- Das eigene Lieblingslied
- Das Lied für meine Situation
- Das Lied für die eigene Situation
- Das Lied, das einen an die eigene Jugend erinnert
- Das Lied als Mutmacher für sich
- 300 Lieder sind echt zu viel, immer nur ein Kreuz bitte!
- Das Lied für mich ganz persönlich als Mutmacher oder Ohrwurm für mich in der Urne
(Sorry liebste Nici, kann das Morbide nicht ganz abschütteln!)
So schnell kann man sich in eine Unterrichtssituation wieder hineinkatapultieren.
Meine Playliste "Meine letzten Lieder" werden auf jeden Fall mit dem einen oder anderen Song noch bestückt.
Die Zeit läuft noch bis 12.15 Uhr. Dann werde ich die Playliste hier im Blog veröffentlichen und rumschicken. Um 12.30 ist Abfahrt nach Heidelberg.
Nachmeldungen sind natürlich jederzeit möglich. Wir sind ja nicht in der Schule.
Kommentar schreiben
Kerstin (Freitag, 28 Mai 2021 22:22)
Und die Cordula Grün ist es geworden �
Vielleicht zuckt ja kurz der Mundwinkel oder der ein oder andere Zeh. Du packst das��