Tag 2 - Bendamustin

05.00 Uhr 

Ordentliche 5 Stunden geschlafen, kein Traum. Leider schläft Nici nicht mehr seit 2 Tagen, das bereitet uns Kummer. Sie muss sich wohl etwas verschreiben lassen. 

Mir geht es gut. Es scheint so, dass ich die Retuximabgabe ganz gut weggesteckt habe. Die zwei Stockwerke nach oben bereiten mir ein wenig Mühe; schnaufe für meine Begriffe zu viel. Morgenlatte steht. Ist ja auch ein gutes Zeichen. 

Heute beginnt die Chemotherapie.15.00 Uhr! 
Es gibt noch Unklarheiten mit dem Medikament, die sich für mich nicht restlos aufgeklärt haben. Ich muss da nochmal nachhaken. Wonderwoman hat sich überraschender Weise nicht zeitnah zurückgemeldet. Ich habe aber gestern auch gelesen, dass in Deutschland jahrelange Erfahrungen mit dem Medikament bestehen. Ich gehe davon aus, dass die Klinik weiß, was sie tut. Ein komisches Gefühl bleibt trotzdem. Manchmal ist vielleicht auch nichts wissen besser. 

Gestern stellte ich mir noch  eine persönliche Playliste mit Lieblingsliedern zusammen. Heute möchte ich Familie und Freunde anschreiben, ob sie mir „IHREN“ Song für mich zusenden. Spotify sollte ihn im Programm führen. Die Kolleche-Playliste war eine schöne Aktion. Zum Teil sehr skurril. Ich finde ja, dass man so manches über den Menschen erfährt, wenn man seine Musik kennt. Keine Musik wäre für mich niemals eine Option, schon seit ich denken kann. Wie oft saß ich vor dem SDR-Radio und habe Songs auf Kassette aufgenommen. Es ist doch eigentlich nur möglich, dass man eine engere Liebesbeziehung führt, der das auch kennt. Der diese Magie der Stopptaste selbst auch miterlebt hat. Der geflucht hat, wenn der Moderator das Ende vom Lied versaut hat. Und nun hat man Spotify, ein Vorspiel- und Nachspiel-Quantensprung. (Fast) ALLES und SOFORT kann ich mir nun anhören. Miles Davies All Stars featering John Coltrane - Live 1058-1959. Oder Bachs Goldberg Variationen von Glenn Gould. Ich verstehe gar nicht, dass man über dieses phänomenale Freizeitvergnügen nicht oft spricht oder viel mehr „Spotify-Events“ im Privaten zelebriert. Und wenn es Spotify nicht hat, findet man es auf YouTube. Unfassbare Juwelen - wie das New-Pop-Konzert von Ed Sheeran - gibt es dort zu entdecken. Früher hat man sich die Platten unter den Arm geklemmt, ist zum Kumpel in die Bruchbude gewandert und hat sich gegenseitig die neuesten coolsten Sachen vorgespielt. Mit 16 bei einem oder 12 Bier und mit 21 bei einem oder 4 Joints. Herrliche Abende ohne Glotze und Handy. Ich gehe gern mit der Zeit, aber manchmal ist das Mitgehen nicht unbedingt                fortschrittlicher, emotional zumindest.


06.00 Uhr

Ein wunderschönes Ritual: Nici sendet mir morgens beim Rausfahren aus Böchingen ein Bildergruß. Wir haben sogar einen extra Bilderordner hierfür angelegt. Ich unterlege manchmal das Foto mit schöner Musik, meditiere mich weg und bin glücklich im Moment. Ab und zu, heule ich - wie jetzt wieder. Mensch bin ich eine Heulsuse geworden! Ist ja nicht mehr auszuhalten! Gott sei Dank sieht mich hier keiner. 

I Need my Girl von The National läuft... 


08.00 Uhr 


Toll, wie man meine Aktion annimmt. Dem Gestalter macht es großen Spaß, die Playliste zusammen zu stellen! Bis jetzt keine Dopplungen! Sehr interessante Sachen dabei.  😁

11.00 Uhr 

Als würde man in einem Vogelkäfig sitzen. Wenn ich mich konzentriere, kann ich 3 unterschiedliche Vogelstimmen raushören. So kann man auch in den Chemotag starten. 

15.30 Uhr 

Kein Rituximab, nur Bendamustin. Aber auch nicht besser. 

Dancing barefoot is nich drin mehr heute. 

Am besten ich bleib auf dem Klo, muss sowieso alle zwei Minuten pinkeln. 

16.00 Uhr 

NACL is durch! 
Noch ein paar Tropfen Benda! 
Das Zeug beim Tropfen zuzusehen, beruhigt nicht wirklich! 

Na wenigstens passendes Lied: Easy von Faith No More! 

18.00 Uhr 

Bender wohl ganz gut. Leichtes Kopfweh, komischer Geschmack im Mund, Kondition in Eimer. Habe 3 Teller Minestrone verdrückt. Kein Alkohol. 

Fahrt mir Schwiegerpaps Bruno war super! Hat sein Trinkgeld (Kaffee und eine Flasche Fuck you...) redlichverdient.GesprächemitBrunosinddiebesteAblenkung.Themenspektrum:unfähigeAuto-Navigationssystemeund Führungskräfte im öffentlichen Dienst und in Schulen,Impfchaos,ÄngstebezüglichTöchter,KommunikationsproblemeinderGesellschaft,überraschendeMusikgeschmäcker undSpotify, Hospizarbeit als wichtigerAuftrag, und was ist bitteschön ein halwer Hahn? MitBruno wird esnielangweilig.Es istgut, wenn VäterjungVäterwerden! Dannhat man alsSchwiegersohn mehrein Kumpel als ein Schwiegervater!

19.30 Uhr

Manchmal brauchen Menschen ein Stupser, um ihre Berührungsängste zu verlieren. Angriff kann wirklich hier die beste Devise sein. Aber kontrolliert. Warum Menschen sich inKrisennichttrauenetwaszusagenund befürchten, alles falsch zu machen, kann ich verstehen, werde ich aber niemals einfach so hinnehmen, wenn sie mir wichtig sind. Reden. Einfach reden.Nichtschweigen.Deranderekanndochimmer nochsignalisieren, wenn er nicht will. Gar nichts sagen und abtauchen,  ist das Schlimmste. In den Schulen muss viel mehr der Umgang mitEmotionengelerntundgelehrtwerden!Daskommtvielzu kurz. Undwarum? Weil es die Erwachsenen selbst nicht hinbekommen. 

20.30 Uhr 

Ich hoffe, dass Nici, meine Liebe, jetzt mal schlafen kann. Nachher bin ich geheilt, und sie ist völlig hinüber. Mein Mund fühlt sich komisch an. Kann aber auch Einbildung sein.ZuvielRechercheführtzuHyperchondrie. 

20.50 Uhr 

Was so eine einfache Aufgabe (Lied für mich suchen) bei den Schenkenden für Energien frei setzt, ist echt erstaunlich. Und nette Nachrichten gibt es noch als Beigave dazu. Wie gesagt: Sitzt manstillund einsam in seiner Kammer, dann passiert auch nichts. Nichts mit uns und auch nicht mit der Welt! 

21.00 Uhr 

Ich versuche jetzt auch zu schlafen. 

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