Die Angst...

 

...vor allem vor Verlust, begleitet mich bereits mein ganzes Leben. Tiefenpsychologisch liegt die Ursache hierfür ganz klar auf der Hand: Meinen Vater hatte ich bei seinem ersten Herzinfarkt vorgefunden, als er in seinem Erbrochenen lag. 9 war ich damals. Das erste Trauma meines Lebens. 3 weitere Infarkte folgten. Ein ständiges Leben in Furcht vor dem plötzlichen Herztod des preußischen Patriarchen. 

 

Meine Mutter. Sie hatte in den letzten Jahren eine unbehandelte schwere Depression. Sie behandelte sie selbst mit einer Tablettensucht. Marion, meine Nichte, und ich waren wöchentlich ihre Dealer, da sie nicht wegen ihren offenen Beinen vor die Türe ging. Meine erste feste Freundin, 7 Jahre älter als ich, war mein Rettungsanker. Ich konnte mit 17 dem Irrsinn entkommen, in dem ich zu ihr zog. Wäre ich geblieben, hätte mich das da schon umgebracht. Ich war weg, hatte aber ständig ein schlechtes Gewissen und Angst um meine Mutter und um Marion, die seit ihrer Geburt bei uns lebte (so hatte es der Familienrat beschlossen), und für mich damals wie eine Schwester war und heute wieder ist. Sie war es auch, die „unsere Mami“ nach der Schule tot auf dem Sofa fand. In den letzten Tagen konnte meine Mutter nur sitzend dösen - und so starb sie dann auch, sitzend, einsam, enttäuscht vom Leben. Diese tragischen Umstände schmerzen mich bis heute und greifen nach meiner Seele - an vielen Tagen und in noch mehr Nächten. Es sind aber Dämonen, die ich gut in Schach halten kann. Wahrscheinlich lache ich deswegen so viel, setzte unerbittlich auf Humor und flenn hemmungslos bei Serien wie The Good Doctor“; ich will mir und allen anderen beweisen, dass ich keine Veranlagung zur Depression habe. Alles raus lassen kann, wenn mich etwas trifft.

 

Mein großer Bruder ist abgehauen und kam nie wieder. Der Grund hierfür ist bis heute unklar. Die Älteste, meine Schwester, krallte sich ihre Tochter und war plötzlich auch weg. Mein „kleiner“ Bruder war da, war aber zu sehr mit seinen Süchten beschäftigt. Die Angst um ihn hörte mit dem Tag auf, als ich aufhörte ihn zu lieben. Dann kam Anna und veränderte mein Leben. Nun hatte ich verrückterweise noch mehr Angst vor Verlust als jemals zuvor. Bis heute lebe ich mit dem Gedanken, es könnte ihr nicht gut gehen oder ihr könnte etwas passiert sein. Nur die Ablenkung des Alltags durchbricht diese lauernde Angst. Würde Anna etwas passieren, ich würde aufhören zu existieren. Würde Nicole etwas passieren, ich würde weiterleben, aber völlig freudlos als Hülle meiner selbst. Nun habe ich Angst, durch die Krankheit, mich zu verlieren. Die Gespräche mit Wonderwoman und die gemeinsame Festlegung der Therapie sollten mich eigentlich optimistisch stimmen. Ich darf doch die Haare behalten, ist das etwa nicht schön? Wir werden, da geht kein Weg daran vorbei, unser altes Leben für eine lange Zeit verlieren. Hier kommt zur Angst Traurigkeit. Aber ich sehe, dass uns auch vieles neues Schönes, Intensives widerfährt. Unsere Sinne sind noch schärfer und unsere Liebe noch einzigartiger. Und ich darf schreiben, schreiben, schreiben und nur Dinge tun, die Freude bereiten, den ganzen Tag. Ich hätte gern meine Krankheit weiterhin, aber mit allen Vergünstigungen und ohne Einschränkungen bitte. Die Angst würde ich eintauschen wollen. Gegen eine Kiste Fuck you Covid/Cancer vielleicht? Die Angst jemand Wichtiges zu verlieren, wird leider immer bleiben. Wie kann ich sie besiegen? Das geht nicht! Ich muss sie akzeptieren, wie ich meinen Port, meine Therapie und Icke jetzt akzeptieren muss. Akzeptanz ist in der Psychologie der Schlüssel, nicht verleugnen, nicht verdrängen. Drückt man die Tränen weg, schmerzt der ganze Körper und man bekommt Kopfweh. Stelle man sich da den seelischen Schmerz, der ignoriert wird, vor, da kann es eigentlich nur unweigerlich zur Katastrophe kommen. Nicht gleich, aber bestimmt später. Ich werde weiterhin Angst davor haben, Menschen zu verlieren, aber werde damit umgehen können. Literatur, Musik, Liebe und die Natur helfen mir dabei, meine Angst im Zaum zu halten. Die Natur dämpft meine permanente innere Unruhe. Ich wirke immer so ausgeglichen und cool. Das bin ich gar nicht. Es strengt mich an, so zu sein. Wenn ich von einem Felsen im geliebten Pfälzer Wald ins Weite schaue, dann werde ich ganz ruhig, als würde ich mir 2 Diazepam einwerfen. Manchmal stehe ich da, möchte meine Arme ausbreiten und fliegend meine Kreise ziehen, wie die Kraniche in Brechts berühmten Gedicht. Dass Nici Minuten mit mir zusammen da oben in Stille verweilen und diesen Moment ebenso genießen kann, ist für mich das schönste Geschenk in unserer Beziehung an mich. Es scheint gerade so, als ob ich diese Augenblicke jeden Sonntag seit 9 Jahren gerade zum Überleben brauche. Was wird sein ohne? Wird die Angst die Macht über mich gewinnen? Timo sprach auch von dieser quälenden Unruhe, von der Angst abzudriften, wohin keiner möchte, man lebt zwar, schafft es aber nicht mehr, am Alltag teilnehmen zu können. Es hat ihn beruhigt, dass ich ihn verstehe. Ich habe leider keinen Lymphomi als verständnisvollen Gesprächspartner, ich habe den Blog, Icke und Nici, das muss reichen. Vorerst!

 

Ab heute werden wir für ein paar Tage unsere Kreise in Konstanz ziehen. Nur Konstanz und ich bin so aufgeregt, als würden wir in den Flieger nach Quito steigen. In einem richtig guten Lokal schlemmen und den besten Wein auf der Karte trinken - unfassbar schöne Aussichten!

 

Frühling am See!

 

We are ready to live!

Kommentar schreiben

Kommentare: 0