Guten Morgen da draußen an den Rechnern und Handys!
Mit dieser tollen Resonsanz auf meinen Brief an Timo gestern hätte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Ich war sogar unsicher, ob er nicht eher auf Kritik stößt, weil ich doch was ganz Intimes öffentlich mache. Wenn es meinen eigenen Kosmos betrifft, ist es was Anderes. Wie Agnes dann reagiert hat, ist einfach nur wunderbar. Über ein paar Kilometer hinweg hatten wir wohl die gleichen Empfindungen. Wir werden auf jeden Fall weiterhin in Kontakt bleiben und unsere Wege verfolgen. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die meine Gedanken und Gefühle so positiv kommentiert haben. Das war wie ein warmes Schaumbad für mich.
Gestern war Timo- und Agnes-Tag. Aber noch etwas Anderes hat mich beschäftigt: Die Schule – was für eine Überraschung. Daher auch der Titel meines heutigen Eintrags. Muss kurz überlegen, wo ich anfange. Das Ziel lautet ja immer auf den Punkt zu kommen und den Leser bei Laune zu halten. Dennoch muss ich ein wenig ausholen. Bitte um Nachsicht.
Ich hatte mich in den vergangenen Jahren sehr identifiziert mit meiner Schule. Es ist ein gutes Gefühl, bei der Prägung des Profils ein wenig mitgewirkt zu haben. Ich war gern Lehrer dort. Einer der schönsten Berufe überhaupt. Seit 18 Jahren fuhr ich jeden Tag mit großer Motivation und großer Freude in diese Gesamtschule. In erster Linie wegen den Kids, aber dann kamen auch ein paar nette Kollegen*innen dazu. Richtige Freundschaften haben sich bis dato nicht wirklich entwickelt. Dafür darf man nicht nur donnerstags miteinander schlemmen oder freitags nach Dienstschluss saufen und sonntags Bilder von Cocktails hin und her schicken, sondern muss privat sich auch nahestehen und bestrebt sein, seine knappe Zeit zu opfern. Der Beruf stand untereinander meist mehr im Mittelpunkt als das Private. Ich möchte das gar nicht bewerten, alles hat zu seiner Zeit seine Berechtigung.
Seit ein paar Tagen nun könnte ich mir doch vorstellen, mit dem einen oder der anderen tatsächlich „befreundet“ zu sein. Beziehungen haben durch mein forsches direktes Wirken eine andere Qualität bekommen. Manche sind mir aber auch vollständig fremd und rätselhaft sowohl geblieben als auch geworden. Sie habe ich gefühlsmäßig aussortiert. Als ich am 06. April DIE E-Mail an die Uniklinik abschickte, mit der Bitte, sich meinen auffälligen Lymphknoten in der Leiste anzuschauen, dachte ich im Traum nicht daran, dass mir die Schule 6 Wochen später (fast) gar nichts mehr bedeuten würde. Ich war gern ein Teil des Systems, lenkte den Kahn als Funktionsträger in meinen abgesteckten Bereichen mit. Pflichtbewusstsein, Ehrgeiz, Fleiß und Fürsorge schrieb ich groß. Und jetzt? Alles weg! Mich interessiert der Orgakram keinen Furz mehr. Ich will schreiben, mit Familie und Freunden zusammen sein. Schöne Herzenssachen machen, wie im Garten rumwurscheln bis ich nicht mehr kann. Ihr sagt, das ist doch langweilig, das geht dir doch irgendwann auch auf den Keks, Schnuri. Ich sage: Nein! Dafür kennt ihr mich dann viel zu wenig. Das Einzige, dass mir tatsächlich fehlt, ist das Unterrichten! Viele behaupten, DAS wäre das Anstrengendste am Lehrerberuf. Nein, ist es nicht. Es ist das Schönste! Das Ermüdendste ist die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Lehrercharakteren. Meine besten Freunde und Freundinnen sind keine Lehrer. Spricht das nicht Bände? JEDER ist ersetzbar und das ziemlich schnell. Diese Erfahrung machte ich schon 2011 bei meiner ersten großen Lymphomerkrankung. Nicht schlimm, einfach Realität. Man sollte sich wirklich überlegen, ob sich ein 10/12 Stunden-Tag in der Schule lohnt, wenn man es sich monetär leisten kann. Arbeiten ist toll, aber nur wenn man tolle Dinge macht. Schreiben, wandern, Pflanzen, helfen und lieben könnte ich 24 Stunden lang. Man hat nun versucht, sachlich mit meiner Situation umzugehen. The Show Must Go on - und das ist richtig so. Man hat sogar versucht Empathie zu zeigen, mich nicht bei Entscheidungen übergehen zu wollen, obwohl ich schon auf allen Kanälen signalisiert habe, wie Schnuppe mir schulische Entscheidungen mittlerweile sind. Ich habe andere wichtigere Aufgaben, die vor mir liegen und mich umfänglich in Beschlag nehmen, z. B. gute Lebenszeit zu gewinnen. Ein Kollege kommentierte einmal: Schnur du bist immer so radikal, in dem was du tust. Wohl war! Kommt man sonst weiter? Wie sagt man in der Wirtschaft: Er (meistens Er, selten Sie) zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück. Jo, das mach ich nun - gerne auch radikal, schließlich bin ich für viele Monate aus dem Spiel genommen. Ausgang ungewiss! Nach meiner ersten großen Krankengeschichte (9 Monate Ausfall) wollte ich es mir nochmal beweisen: körperlich (Pfälzer Jakobsweg alleine gelaufen) und kognitiv (Ernennung zum Konrektor). Den Karriereschritt hätte ich nie gewagt, wenn ich nicht so eine tolle Frau an meiner Seite gehabt hätte. Glück heißt auch, bei dem was man tut und denkt, Unterstützung und Wertschätzung zu erhalten. Ich war zuhause und im Kopf endlich frei, also konnte ich mich im Beruf entfalten. Es war anstrengend, aber es hat mir Freude bereitet. Jetzt nicht mehr. Jetzt finde ich den Schulkram eher lästig. Vor allem wenn er bei den Gesprächen, die persönlich sein sollten, im Mittelpunkt steht. Das es auch anders geht, hat eine Kollegin bewiesen. Von diesen wunderbaren Momenten und Begegnungen habe ich jetzt nicht wenige am Tag. Sie stellen nun mein Lebensmittelpunkt dar.
"Lieber Alexander,
was für ein unglaublich intensiver, toller Brief! Und was für ein schreckliches Schicksal, das den Liebenden alles abverlangt, um sie dann trauernd zurückzulassen?! Der Krebs ist eine fiese Drecksau! Mach ihn fertig, Mohammad! Am besten in der ersten Runde!!
Mit einem offenen Ohr, einem großen Herzen und einer helfenden Hand kann man so vieles bewegen - bei so vielen Menschen und auch bei einem selbst. Dein Engagement ist gar nicht hoch genug ein- und wertzuschätzen. Du kannst stolz auf dich sein!
Eigentlich wollte ich dir heute wegen etwas ganz anderem schreiben. Dies erscheint mir aber nach dem Lesen des heutigen Blog-Eintrags und meinen Gedanken dazu so nebensächlich, dass ich die Nachricht verschiebe.
Viele Grüße"
Diese wunderbare Person hat mir in den letzten Tagen schon mehrere solcher besonderen Nachrichten zukommen lassen. Sie war auch die einzige, die den Mut besaß, mich an meinem „Abschiedstag“ in der Schule in den Arm zu nehmen. Eine Frau mit Herz und Verstand. Das gibt es leider viel zu wenig. Und bei den Männern noch weniger. Aber wahrscheinlich halte ich hier wieder mal viel zu hart Gericht. Bei ihr könnte ich mir tatsächlich das Attribut „Freundin“ vorstellen.
Manche nutzen den Vorwand „Blog“, um bei mir / bei uns nicht nachfragen zu müssen, wie es mir / uns geht. Natürlich kann man nachfragen. Alle Befindlichkeiten werde ich hier niemals ausleeren. Ehrliches Nachfragen schafft Nähe und erfreut. Manche lesen jeden Tag meinen Blog und fragen trotzdem nach. Das ist schön. Das verbindet. Vor allem bin nicht nur ich es, der wichtig ist, sondern auch mein ganzes Anti-Lymphom-Team. Die möchten auch Empathie genießen. Es gibt tatsächlich Menschen, die würde man auf dem Papier als „nahe stehend“ bezeichnen. Keine Reaktion! Angst? Gleichgültigkeit? Unreife? Überforderung? Hat man selbst etwas falsch gemacht? Standen sie einem überhaupt jemals nahe? Wir lernen so viele Formeln und Vokabeln. Aber was ist mit Mitgefühl und Kommunikationsfähigkeit? Sind diese nicht viel wichtiger - gerade in diesen Tagen.
Es gibt so wahnsinnig viele unsichere, oberflächliche Menschen. Nicht nur die Querdenker sind voll davon. Nicole und ich tragen nichts nach, lassen uns weiterhin überraschen, schlagen die Türe nicht zu. So sind wir nicht. Aber eine tiefe Kerbe bleibt eventuell.
Erfahrung und Hoffnung: Sie verblasst mit der Zeit, wie die Portnarbe links, die ich schon 10 Jahre als Mahnmal herzeigen kann.
Und wie in der Pandemie gibt es Lichtblicke. Wir haben viele „Taxidriver“, die sich für einen Fahrdienst bereit erklärt haben. Das ist echt klasse! Es klingt merkwürdig (als ob ICKE und ICH immer vernünftig klingen würden), aber ich freue mich auf die Fahrten. 2 Stunden in einem Auto, da lernt man sich schon kennen. Wenn alles gut läuft, hänge ich nicht zu sehr in den Seilen und bin kommunikativ.
Natürlich ist es auch völlig legitim zu mir zu sagen: Halt jetzt endlich mal die Klappe Schnur. Taxifahrer haben die Macht. Your Car is your Castle.
Die Show aber in der Carl-Benz-Gesamtschule muss weitergehen. Das System muss aufrecht gehalten werden. Menschen, die mir wichtig waren, werden wichtig bleiben. Menschen, denen ich nicht wichtig bin, werden mir niemals egal sein. Menschen, die ich gar nicht so auf dem Radar hatte, rücken nun mehr ins Blickfeld. Ich bin auf keinen Fall mehr enttäuscht, dazu bin ich zu sehr Realist. Ich kann mich überhaupt nicht beklagen: Ich schwelge im Luxus. Zeit, tolle Familie(n), viele emphatische Freunde, die für mich da sind. Die herausragende Wohnsituation spielt mir auch in die Karten. Mir wurde seit dem April das Drehbuch für kommenden Monate zwar vorgegeben, aber ich habe das Meiste noch selbst in der Hand. Gut, Icke macht mir hin und wieder mit seinem ständigen Gejammer und seiner Nörgelei Kummer, aber das bekomme ich auch noch geregelt.
Ein wunderschöner Tag wartet auf mich. Ganze ohne Schule. Wer hätte das jemals für möglich gehalten.
The Show Must Go on - Freddy Mercury
Leere
Räume - wofür leben wir?
Verlassene Orte - ich denke, wir kennen die Bewertung...
Immer weiter und weiter!
Weiß denn irgendjemand wonach wir alle suchen?
Wieder mal ein Held - ein weiteres sinnloses Verbrechen.
Hinter dem Vorhang, wie bei einer Pantomime.
Bleib dran!
Wer will sich das eigentlich alles noch antun?
Die Show muss weiter gehen!
Die Show muss weiter gehen!
Auch wenn mir das Herz innerlich bricht,
Auch wenn mein Make-up langsam abblättert,
Mein Lächeln werde ich behalten!
Was
auch passiert, ich nehme es, wie es kommt.
Egal ob Liebeskummer, oder eine weitere unerfüllte Liebe.
Immer weiter und weiter...
Gibt es überhaupt irgendjemanden, der weiß, wofür wir leben?
Ich denke, ich bin dabei zu lernen,
dass ich herzlicher werden muss.
Nicht mehr lange, und ich werde nicht mehr da sein.
Draußen bricht gerade der neue Tag an,
aber mitten in der Dunkelheit sehne ich mich danach frei zu sein.
Die Show muss weiter gehen!
Die Show muss weiter gehen!
Auch wenn mir das Herz bricht,
Auch wenn mein Make-up langsam abblättert,
Mein Lächeln werde ich behalten!
Meine Seele ist bunt angemalt, wie die Flügel eines Schmetterlings,
Märchen von gestern werden wachsen aber niemals sterben.
Seht her, ich kann fliegen, meine Freunde!
Die Show muss weitergehen!
Die Show muss weitergehen!
Ich nehme es mit einem Grinsen!
Ich gebe niemals auf!
Weiter mit der Show!
Ich setze noch einen drauf!
Ich werde alles übertreffen!
Ich muss einfach den Willen haben, weiter zu machen.
Weiter, einfach weiter mit der Show!
Die Show muss weiter gehen.
19.25 Uhr
Nici bekommt jobmässig ja immer so Tode auf den Tisch. Heute einen 60-Jährigen. Bei einet Hundertjährigen wird eine Betreuung angeregt. Nicis Idee: Lebensjahre spenden. Warum kann man nicht einfach, wenn man schweinealt is, noch so 5-10 Jahre einfach an einem wie mich spenden. Coole Idee, finde ich! Ich geb’s mal an Timo weiter. Der soll die Sache mit Gott, dem Flucher, besprechen.
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