Timo

Erst etwas Wichtiges zu Beginn: in einem neuen Menüpunkt Termine und Infos kann man sich über die aktuelle Lage verschaffen.  Einen Dienstplan der „Taxidriver“ findet man dort auch.  Diesen selbstlosen und abenteuerlustigen Menschen gilt unser aller größte Dank. Ihr helft mir und entlastet gleichzeitig Nicole. Immer einen in den Seilen hängenden Chemopatienten mit seinem Kumpel Icke nach good old Heidelberg zu kutschieren is kein Spass! 

 

So, das war mir wichtig. Was noch? Moment: Ach ja! Die Lage des Ports ist ziemlicher Mist. Hat man gewählt, weil die Stelle ja noch jungfräulich ist. Frischfleisch! Links gibt es schon eine Portnarbe. Auch nach 10 Jahren sieht man die noch gut. Rechts tut weh, weil ich rechts halt viel mache als Rechtshänder. Als Kind habe ich immer „Rechtshändler“ gesagt. Ich würde immer noch gern Rechtshändler sagen wollen, aber man muss mit der Semantik heutzutage aufpassen. Hey, der ist ja Rechtshändler? Wusste gar nicht, dass der in der AfD ist.  Oder so...

Mal sehen, vielleicht gewöhne ich mich ja an das Zippen. Gibt ja Revolverhelden, die werden Jahrzehnte lang von einer Kugel, eingefangen als großartiger Held einer ganzen Westernstadt, geplagt und gepeinigt. Wenn man die Weit retten will, muss man das eben aushalten. Nun zu einem anderen Helden. 

 

Timo

 

Geboren am 04.05.1982 und gestorben am 09.12.2020.

 

Ich habe Timo in meiner Tätigkeit als ehrenamtlicher ambulanter Hospizbegleiter kennengelernt. Timo war meine zweite Begleitung. Die erste war eine ältere Dame aus dem Nachbarort. Das war schon aufregend und bereichernd, aber Timo war noch aufregender und hat meinen Blick auf die Welt nochmal nachhaltig verändert. Es reifte schon lange der Gedanke, dass ich da was schreiben möchte. Habe das auch mit Timos Frau besprochen. Seine Tragik hat auch mit mir persönlich zu tun.  Ich muss jetzt nur einen Weg finden, wie ich es mache. Ich schreibe einen Brief, an Timo direkt gerichtet, denke ich. Das passt! Ausführliche Briefe richte ich nur an Menschen, die mir sehr wichtig sind. Außerdem hat Timo auch etwas davon. 

Also...es kann losgehen. 

 

 

Lieber Timo,

 

lieber allzu kurzer Freund, im August 2020 hat man mich zu dir und deiner Familie nach Häschde gerufen. Du hast gerade die „Nachwehen“ deiner Therapie verarbeitet. Eine lange Odyssee des Schmerzes und des Leids lag hinter dir. Du hattest diesbezüglich gar nichts Gutes zu berichten. Wir saßen zusammen mit Agnes am Küchentisch deines Hauses, die Hunde bellten und die Kinder waren eben Kinder. Du warst jung (38) und sahst, mit Verlaub lieber Timo, schon so aus, als würdest du nur noch wenige Stunden auf dieser Erde verweilen. Du hattest unterhalb von alten Fotos von dir Platz genommen. Wie konnte sich ein so attraktiver stolzer Mann in dieses Häufchen Etwas verwandeln, das nun vor mir saß. Ich hatte mit diesem körperlichen Verfall mental einiges zu tun. Und ich bin nicht zimperlich, was dies anbelangt. Ziemlich schnell wurden wir alle sehr warm miteinander. Was zum einen an eurer offenen Art und eurer Herzlichkeit lag und zum anderen an der Parallele, dass du auch ein Lymphom hattest, nur im Kopf. Deines leider nicht operabel. Dieses Scheiß Ding bereitete dir auch schon erhebliche Probleme. Ich bot meine Hilfe in jeder Beziehung an, deine Hauptintention war es aber jemanden zum Reden zu haben, der nah an deinen Themen dran ist. Das auch als Mann! Ich fuhr nach Hause und war erst mal fix und fertig von eurem Schicksal. Was für eine besondere Aufgabe. Ich habe beim Abendessen mit Nicole gar nicht mehr aufgehört zu berichten. Ich hatte großen Schiss, dass ich das nicht emotional gestemmt bekomme. Ich habe mich dann schnell mit einem lieben Hospizkumpel auf ein Bier getroffen und habe mich mit ihm ausgetauscht. Das hat mir sehr geholfen, mich wieder zu erden und mich motiviert, mit viel Zuversicht dieses Geschenk anzugehen. Was dann folgte, war für mich als "Mensch Schnur" einer der prägendsten Begegnungen, die ich bis dahin haben durfte. Es fällt mir unheimlich schwer weiter zu schreiben, weil mich das alles noch zu sehr packt, gerade jetzt, in meiner Situation. Die Gespräche am Paddelweiher waren so intensiv und gehaltvoll. Du hast mich sehr beeindruckt, mein Lieber! Deine Frau hat mich beeindruckt. Mit ihrer Power, ihrem sonnigen Gemüt und ihrem grenzenlosen Optimismus! Man merkte euch an, dass es die schwersten Zeiten eures Lebens sind, aber auch, dass ihr euch sehr liebt. Viele Baustellen waren zu bewältigen, aber in deinem Berufsleben als Schreiner und Gastronom hattest du mit einigen Baustellen und noch viel mehr Stress zu tun. Diese hier gingen jetzt so richtig ans Eingemachte. Durch die Krankheit hattest du dein Selbstverständnis von dir und dein Verständnis für deine Umwelt verloren. Man merkte dir deinen großen Kampf mit allem an. Ich versuchte dich / euch zu beruhigen, aufzumuntern und zu bestärken, so was kann ich gut. Sah aber auch ganz klar meine Grenzen. Am Weiher sagtet du mir, dass du aufgeben wolltest, dass du dich dafür vor deiner Familie schämst. Oh lieber Timo, wie kann ich diese Gedankengänge nur zu gut nachvollziehen. Das war es auch, was du auch ganz besonders an mir geschätzt hast: Da schlürfte einer vor dir sein Schorle, der verstand, nicht verurteilte  und einfach mal ganz genau DIR zuhörte, was DU zu sagen und zu fühlen hattest. Ein „Überlebender“.  An meinem Überleben hast du dich orientiert und aufgerichtet. Nach unserem ersten intensiven Gespräch habe ich auf der Heimfahrt geheult wie ein Schlosshund. Es waren wieder keine traurigen Tränen, sondern befreiende. Tränen, die durch Dankbarkeit und Demut gegenüber meinem eigenen Leben ausgelöst wurden. Ich fühlte mich elitär, unbesiegbar. Schnuri, der Highlander! Damals! Ich habe deinen dunklen Witz und deinen Tiefsinn sehr gemocht. Wir waren nicht nur ernst und traurig, sondern haben auch gelacht. Humor hilft heilen! Ich glaube, wir wären gute Freunde geworden. Was uns auch verband: Du hast deine Familie genauso geliebt, wie ich es tue. So sehr, dass du aus der Klinik heraus - nun warst auch du in Heidelberg gelandet - die verrückte Idee entwickelt hast, ich könnte den Nikolaus für deine Familie spielen. Eine Tradition, die eurer Familie sehr wichtig ist. Im ersten Moment dachte ich, nö, dass kann ich nicht, dass ist mir zu schräg. In deinen Zeilen las ich aber, dass es tatsächlich ein großer Herzenswunsch von dir war, deine Kinder und deine Frau wenigstens für einen kurzen Moment glücklich zu wissen. Ich sollte dein Glücks-Medium sein. Herausforderungen reizen mich. Also warum nicht. Jetzt bist du verantwortlich, dass ich 45 Minuten meines Lebens niemals vergessen werde. Das heimliche Umkleiden im Keller, das darauffolgende Pochen an der Haustüre, die versammelte aufgeregte Kinderschaar mitsamt Großeltern, meine peinlichen Fehler, Kinder und Geschenke durcheinander gebracht zu haben und die Dankbarkeit von Agnes als ich mich Schweiß gebadet verabschiedete. Häschde hat noch nie ein schrägeres Nikolaus erlebt. Ich war am Ende, so erleichtert und stolz, dass ich noch Tage lang durch die Schulflure schwebte. Ich freute mich irrsinnig darauf, den Schülern in Ethik von diesem Mega-Event zu erzählen. Ich konnte es kaum erwarten, in ihre staunenden Gesichter zu blicken. „Glücklich sein durch glücklich machen“, sollte das Unterrichtsthema sein. Du, lieber Timo, und das große Vertrauen, das mir Agnes entgegengebracht hat, haben MICH glücklich gemacht. Ich wusste nun definitiv, diesen besonderen Job möchte ich bis ans Ende meiner Tage ausüben. Ein Kollege aus meinem Team, fragte mich, warum machst du das, Alex? Ich könnte das nicht! Respekt! Eine übliche Reaktion. Oft gibt es auch gar keine, weil man Angst hat nachzufragen. Tod halt, da muss man doch Angst haben. Du hast mir gezeigt, lieber Freund, wie wichtig diese Aufgabe ist, für UNS ALLE. Dieser Brief an dich soll unter anderem die Bedeutung des Ehrenamtes und den integrierenden Umgang mit dem Thema Sterben in die Welt hinausposaunen.  Eine Gesellschaft lässt sich unter anderem nur daran messen, wie man mit dem Leben UND dem Tod umgeht. Darin waren wir uns einig. Mir hast du auch nochmal die Angst vor dem eigenen Tod genommen und mir bewusstgemacht, zu Lebzeiten noch Klärungen und gute Abschiede hinzulegen. Das macht vieles von dem Schmerz leichter. Als ich von Agnes hörte, dass du dich mit ihrer Tochter versöhnt hast, musste ich lächeln. Du hast es tatsächlich hinbekommen, auf sie zuzugehen. Das ist wahre Größe! Verzeihen, nicht nachtragen! Ich habe keinen Respekt verdient. Was ich mache, ist Menschenpflicht! DU hast Respekt verdient! Als ich von deinem Tod erfuhr - Nicole und ich gerade im Mario-Kart-Wahn -, war ich am Boden zerstört. Ich dachte wirklich wie du, du reißt es nochmal. Die letzte Chemotherapie hat nur Qualen und Ärger gebracht: Sepsis dein Todesurteil. Endlich hast du, mit Unterstützung deiner lieben Ehefrau, loslassen können. Wie sehr hätte ich dich nochmal besuchen wollen, mich so gern von dir verabschieden wollen. Scheiß verfluchtverkackte Pandemie! Hätte mich bei dir bedankt; so bleibt mir eine letzte Nachricht, worin DU dich bei MIR bedankst. Das Video, dass mich als schlechtesten Nikolaus aller Zeiten zeigt, extra aufgenommen für den Vater, Ehemann und Sohn, konntest du schon nicht mehr sehen. Du warst ins künstliche Koma versetzt worden. So traurig! 

Wie ist es da oben Timo? Gibt es da auch Rieslingschorle? Hast du Kurt Cobain gesehen? Hat er noch seinen hübschen Kopf? Wie gehts Willemsen, Herrndorf, Schlingensief, Frisch? Schreiben sie? Wie ist Gott so? Ein Tyrann? Hey Timo, mein Guter, könntest du es arrangieren, dass man mich noch nicht holt. Wäre lieb! Ich möchte mit Nici unbedingt zu den Galapagos und mit Anna und Lotta mit einem T8 durch die Toskana düsen. Was ich dir anbieten kann? Ich werde nicht mehr fluchen, versprochen! Brauche ich nicht, sagst du. Gott flucht auch die ganze Zeit. Echt? Is ja nen Ding! 

Pass auf deine Liebsten auf, ja? Und auf mich auch ein wenig. Mehr darf ich dir nicht aufbürden. Wenn du noch Kapazitäten frei hast, mein Schwiegerpaps könnte auch noch ein gutes Wort da oben von dir gebrauchen. Nicole lässt dich schön grüßen. Leider konntet ihr euch nicht mehr kennenlernen. Du hättest sie bestimmt gemocht, da bin ich mir sicher. Ach ja, was ich dir noch sagen wollte: Deine Beerdigung war der Hammer. Agnes hat mir erzählt, dass ihr die zusammen geplant habt, mehr oder weniger. Auf sowas stehe ich ja. Aber viele Leute nicht so. Das ist auch okay. Ich lerne dazu. Du hast ja bestimmt mitbekommen, dass der ganze Friedhof übersät war mit Menschen. Corona-Regeln wurden für dich aufgehoben, so scheint es. Ich stand abseits und habe deinen „letzten Liedern“ gelauscht. Die deutsche Version von Cohens Halleluja, live in der Trauerhalle gespielt. Ich verehre Leonard als Poeten sehr. Den Jahrhundertsong könnte ich mir auch gut vorstellen, aber noch kann ich mich nicht festlegen. "Die letzte Fahrt" von Santiano hat mir auch einen Schauer über den Rücken gejagt, oh Mann! Habe viel Schluchzen um mich rum wahrgenommen. Zum Abschluss: Ein schöner Tag von Mario Jordan. Das muss euer gemeinsames Lied gewesen sein. Ich finde „gemeinsame“ Lieder immer ein schöner Gedanke. Hoffnungslose Romantiker wir Zwei, was? Auch eine schöne Parallele:  Beide haben wir die Liebe unseres Lebens gefunden. Ein seltenes Glück!

Timo, deine 38 Jahre waren zwar unerträglich kurz, aber mit Liebe gesegnet, vergiss das nie. Du wirst vermisst! Jeden Tag! Jetzt bleibt nur noch eins zu sagen, mein Kumpel: zum Wohl die Pfalz! Auf dich! Ich komme dich irgendwann besuchen und dann setzen wir uns wieder an einen schönen See und schütteln zusammen die Glatzen über die Irren da unten.  So in 20, 30 Jahren. Eher kann ich nicht, sorry!

 

Dein Alex 

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Kommentare: 15
  • #1

    Claudia G. (Mittwoch, 19 Mai 2021 14:08)

    Toll geschrieben!

  • #2

    Herr Staudigl Michael (Mittwoch, 19 Mai 2021 15:43)

    Das ist sehr sehr schön geschrieben�

  • #3

    Nicole J. (Mittwoch, 19 Mai 2021 17:39)

    Sehr wunderschön *schnieff*

    Ich kannte Timo auch persönlich..

    Liebe Grüße aus der Südpfalz

  • #4

    Ute Schneider-Beiwinkel (Mittwoch, 19 Mai 2021 18:03)

    �♥️

  • #5

    Ingrid Tante von Timo (Mittwoch, 19 Mai 2021 18:51)

    Sehr schön geschrieben

  • #6

    Theresia Woll (Mittwoch, 19 Mai 2021 18:53)

    Deine Worte sind einfach sensationell, Danke dafür‼️❣️ Ich hab wie ein Schlosshund geheult � � � von Anfang bis Ende. ❤️❤️❤️

  • #7

    Tine (Mittwoch, 19 Mai 2021 18:54)

    Wunderschön geschrieben.
    Einfach toll!! Fühl dich gedrückt meine Liebe Agnes.

  • #8

    Anette (Mittwoch, 19 Mai 2021 19:12)

    Sooooooo wunderschön und bewegend

  • #9

    Margit (Mittwoch, 19 Mai 2021 19:50)

    Diese Worte gehen ans Herz ,hatte es mit Tränen gelesen .Die guten gehen immer zu früh �

  • #10

    Jessi (Mittwoch, 19 Mai 2021 19:51)

    Danke, für die lieben Worte an meinen Cousin ❤️
    Sehr schön geschrieben.

  • #11

    Mario (Mittwoch, 19 Mai 2021 20:17)

    Sehr berührende Zeilen, sehr schöner Brief an Timo �

  • #12

    Agnes (Mittwoch, 19 Mai 2021 20:48)

    Ich bin unendlich Dankbar für diesen Brief und werde ihn aufbewahren für Max�

  • #13

    Heike (Mittwoch, 19 Mai 2021 21:53)

    Sehr bewegende Zeilen ❤️

  • #14

    Verena (Donnerstag, 20 Mai 2021 07:45)

    Ein sehr bewegender Brief, klasse geschrieben und doch so unfassbar traurig. Toll, dass es Menschen wie dich gibt ��

  • #15

    Alexandra (Donnerstag, 20 Mai 2021 08:27)

    Wunderschön geschrieben.
    Für einen lieben Menschen, mit einer unglaublich starken Frau.