I will survive hat uns gestern bis ins Auto verfolgt. Als wir das Auto starteten, erklang, wie von Geisterhand gesteuert, wieder Glorias Lied, Bluetooth macht’s möglich. Nici meinte: Also ich will ja auch, dass du überlebst, aber diesen Song höre ich heute jetzt zum 12. Mal. Wenn du möchtest, dass ich psychisch stabil an deiner Seite wache, dann wechsle bitte die Mucke, Liebling! Sofort! Alsbald lief meine neu erstellte Playliste „Robi, Tobi und das Fliewatüt“. Oberste Regel: Verscherze es niemals mit jemanden, der die irgendwann mal den Mund abwischen muss.
Nach einem kleinen Zwischenspiel mit Icke, der mir einen Witz erzählte, weil ihm langweilig war, ich dabei laut auflachte und dieser Umstand meine Frau langsam doch an meinem vorzüglichen Verstand zweifeln lässt, sponnen wir gemeinsam ein wenig rum. Das machen wir gerne und überall: rumspinnen. Man braucht nichts Anderes als sich, den Hypothalamus und einen funktionierenden Audioausgang. Wenn man für sich rumspinnt, braucht man nicht mal den, sondern nur einen Icke. Rumspinner sollten wenn möglich mit Rumspinner zusammenleben. Das bringt’s! Wenn du ein Rumspinner sein solltest und mit einem Zahlenfetischisten das Bett teilst, dann flüchte sofort. Zahlenfetischisten sollten unter sich bleiben. Wie erkennt man Rumspinner? Sie lieben Monty Python und laufen auch mal barfuß durch matschige Pfützen, wenn keine Fußbrause gerade in der Nähe ist. Rumspinner haben sich das Kindliche bewahrt. Anna ist auch eine herrliche Rumspinnerin. Gut, der liebende Paps ist da ein wenig befangen, ich gebe es ja zu, aber ihre Rumspinnereisachen sind einfach herrlich anzusehen, schon als Kind. Mit ihrer besten Freundin Fenja bildet sie ein kongeniales Rumspinner-Team. Wie haben wir ihre im Kinderzimmer aufgeführten Theaterstücke geliebt. Wie lustig war es, wenn Anna mir lustigen Zöpfe frisierte, als ich noch zopfwürdige Haare hatte. Auch mit bald 28 spinnt sie mit ihrer Freundin noch wie ein kleines Kind rum, in dem sie z.B., wie vor Kurzem geschehen, eine Schnecke im Wingert finden und diese aus allen möglichen Perspektiven fotografieren.
Anna, bitte bleibe für den Rest deines Lebens diese wunderbare einmalige kreative Rumspinnerin. Rumspinnen macht glücklicher!
Nun, als Nici und ich so Richtung Schule tuckerten, The Four Horseman von Aphrodite‘s Child hörten und uns an alte Mash-Zeiten erinnerten, hatten wir die spinnerte Idee einen Club für ab 47-Jährige zu eröffnen. Doppelt geimpft, ist ja klar. Dort kann man dann zu „das Fenster“ von City schwofen bis einen der Rettungssanitäter wiederbelebt und den besten Südpfalzwein und lecker Selbstgebrautes auf Ultra-gemütliche Lounge-Sessel gepflegt einnehmen. Wir sind ja schließlich keine 20 mehr, außerdem baumelt mein IS-Gelenk neben mir herunter und mein Tischtennis-Ball im Meniskus übertönt die Musik, da brauch ich tolle abgelegene Sitzgelegenheiten. In den Nachbarraum gibt es ein gehobenes Lokal, in dem es nicht nur frischen Pulpo gibt, sondern auch ein Sellerieschnitzel – und viel Rote Beete. Kulturveranstaltung jeglicher Art gibt es im 1. Stock. Da ist alles dabei: von Lesungen mit Thorsten Sträter, Wohnzimmerkonzert mit Ed Sheeran und philosophischen Gesprächsrunden mit Richard David Precht. Das wäre doch der Hit.
Leider mussten wir unsere spannende Spinnerei mit einem Schulgang unterbrechen. Stuhlgang würde besser passen, da es eher mein Gefühl beschreibt als ich die Eingangstüre aufchipte. So schnell kann ein zweites Zuhause, der Lebensmittelpunkt der letzten 10 Jahre einfach rausgeschissen werden. Auch wenn es nicht das erste Mal in meinem Leben war, dass ich aus einem System in ein anderes falle; für Irritationen sorgt es doch immer wieder. Ich holte ein paar mir wichtige Utensilien: der Kopierer im Verwaltungstrakt gehört sicherlich nicht dazu. Hätte ihn schon mitgenommen, aber der funktioniert nie. Irgendwann wird man Lehrer*innen und Sekretärinnen vor diesem Ding vorfinden, die sich suizidiert haben, weil es wieder den 50. Papierstau gegeben hat. Ein privates Foto war mir wichtig. Sonst eigentlich nichts. Nette Überraschung: Zwei Mädels aus meinem Schulleitungste.am, mit denen ich vorher kommuniziert hatte, überraschten mich, mit selbst Erstelltem auf meinem Platz. Wir waren ja inkognito da, zu einer Stunde, wo niemand im Haus rumgeisterte. Ich stelle immer mehr fest, eigentlich bin ich ja eine Frau. Weil Frauen zeigen Emotionen, manchmal ein wenig zu hysterisch, das gefällt mir nicht so. Die Jungs in meinem Team sind eher der Kategorie „Gefühlslegasteniker“ einzuordnen, vor allem wenn es um die Findung der richtigen Worte in bestimmten existenziellen Situationen geht. Is ja aber auch nicht einfach, Jungs! Ich glaube, um Gefühle zum Ausdruck bringen zu können, muss man vor dem Fernseher einfach auch mal so richtig losgeflennt und ein Liebesgedicht verfasst haben, wer macht das schon? Um eine Schule erfolgreich zu führen, muss man vielleicht ein dickeres Fell haben, als ich es besitze. Dass ich in der Gruppe der ehrenamtlichen Hospizbegleiter*innen einer von ganz wenigen Männern bin, sagt einiges aus über unsere Männerwelt- und sicht. Wunden sehen und zeigen ist nicht JederMANNS Sache. Künstler machen es vielleicht noch.
Die 3 Mädels im Team hab ich lieb, und ich glaube, sie mich auch ein wenig. Obwohl ich absolut dafür eintrete, dass die Frauenquote von 80 Prozent an unserer Schule unbedingt reduziert werden muss, ist es nicht gut, wenn allein die Frauen die Erziehung unserer Kinder übernehmen – das ist wie zuhause. Leider wird wohl kein Schwanz mehr Lehrer, wie es aussieht.
Meinen Schreibtisch und die mit Vertretungsmaterial gefüllten Ablagefächern zu sehen, war sehr befremdlich. Vermisse ich etwas daran. Nein. Ich vermisse es aber tatsächlich, Kevin, Chantal und ES zu unterrichten, auch wenn ich sie kurzfristig ins Goldfisch-Glas verbannt hatte. Es ist ein so wunderbares Tun, Kinder und Jugendliche dabei zu begleiten, die Welt zu entdecken und sie darin zu bestärken, ihren eigenen Weg zu finden. 5er und 6er zu verteilen, sollte ausdrücklich hier nicht als Mittel der Pädagogik angewendet werden.
In der Phase, in der ich mich jetzt befinde, fehlt mir die Neutralität, das kann ich den Kids nicht antun. Ich wäre viel zu philosophisch und gefühlsduselig unterwegs. Und den Kollegen würde ich bei jeder Jammerei mein Krebsding um die Ohren hauen. „Frau Müll-Tonne, wir können nicht die Polizei holen, weil Kevin mit Radiergummi nach ihnen geschmissen hat, ich habe ein Lymphom!“ Das kann wirklich keiner wollen.
Ich habe unser neues Kommunikationsmedium, den Schulmanager, geliebt und exzessiv genutzt. Permanente Erreichbarkeit, kein Problem für den Schnur. Und jetzt? Nach 3 Wochen Schulmanager-Abstinenz vermisse ich ihn keinen alten Scheiß. Crazy!
Nach Haushalt und Käffchen geht’s mit dem kurzen Abstecher in das berühmte Café-Delight-Lager weiter. War lustig.
Dinge werden immer unwichtiger. Was bedeutet es schon, was man besitzt. Okay, ohne Handy, IPad (Blog schreiben, Bilder!) wäre ich aufgeschmissen. Aber sonst? Na ja, ein altes Skifahr-Bild von Anna ist mir noch wichtig. Das hat mir durch meine damalige 9-monatigeTherapie durch geholfen. Ein lustiges Bild. Da habe ich drauf geguckt, wenn es mir schlecht ging und oh Wunder, war’s schon nicht mehr so schlimm. Mittlerweile steckt es schon so was von zerfleddert in meinem Geldbeutel, dass ich Angst habe, es rauziehen. Also ein paar Dinge sind mir dann doch noch wichtig.
Die Dinge aber im Cafè-Delight-Lager (meine legendäre Schülerfirma) sind mir nicht mehr so wichtig. Ich hoffe, ich habe nichts total Wertvolles gestern übersehen. Wenn ich über die Wupper gehe, dann hat da jemand gewaltig was zu tun, den ganzen Scheiß zu entsorgen. Die Hausis werden mich noch als Urneninhalt verfluchen. Oder Nicole? Die dann mit dem LKW vorfahren muss, um den ganzen Kruscht zu entsorgen und wird endlich ihren guten Geldbeutel wiederfinden, den ihre Schwester ihr geschenkt hat und ich wahrscheinlich zu den Flohmarktartikeln gepackt habe. Hat ja alles immer auch was Gutes.
Apropos etwas Gutes: Anna rief mich gestern an und fragte: Hey Paps kriegst du eigentlich einen Pflegegrad? Ich: Äh, also ich kann mir noch ziemlich locker mit
beiden Händen den Hintern abbutze, auch wenn ich einhodig bin. Ich glaub nicht. Noch nicht. Warum? Anna: Na ja, dann werd ich auch geimpft? Aha! Jetzt hammers, ruckzuck, und die Tochter will
einen mal so mirnixdirnix ein in die Bettflasche pinkeln lassen. Tzzzz…Aber ich verstehe es ja, die Alten gehen bald alle in lecker Restaurants
mampfen und bechern (wir sind ja alle in jeder Familie geimpft – sogar doppelt) und die Jungen vermodern in ihrer Studentenbude. Das Leben
ist echt ungerecht, aber nicht für uns...höhö...na ja, zumindest was Vergünstigungen für Geimpfgte anbelangt. Krebs haben, bleibt natürlich mega
scheiße.
Nochmal zurück zum Not-Neefull-Things-Lager. Damit ich Anna nun doch eine kleine Freude machen kann, auch wenn ich mich nicht ins Pflegebettchen lege, zumindest nicht freiwillig, habe ich die X-Box 360 wieder nach Hause geholt. Anna ist zuletzt schier in Tränen ausgebrochen, dass ich die in der Schule für einen guten Zweck verchecken wollte. Also, Annilein, die Konsole ist wieder dein.
Wir hatten echt Spaß unten in den Katakomben. Mit den Boxhandschuhen gegen das Lymphom. 10 Runden. Muhammad Schnur gegen Lymphom Foreman, Rumble in the Jungle of Wörth. Nach Punkten stand es unentschieden – so ein Mist. Dabei habe ich dem Lymphom mehrmals so dermaßen auf die Omme gehauen. Das Scheiß Ding hat einfach nicht klein bei gegeben.
Die Miss Carl-Benz-Gesamtschule 1893 haben wir dann auch noch entdeckt. Die wurde vor Jahren in den Keller gesperrt und vergessen, da sie immer morgens nackig zum Unterricht erschien. War nicht so zielführend. Hat sich gefreut, mal wieder Besuch zu kriegen. Hat aber auch kein Bock mehr auf Schule, hat sie gemeint. Genießt ihre Nacktheit jetzt in vollen Zügen. Recht hat sie. Soll ich mich einfach daneben stellen. Die Reinigungskräfte bekommen einen Herzinfarkt.
Der Ausflug war nett, ich war aber auch froh, als wir den Lehrer*innen-Parkplatz wieder verlassen hatten und wir im Auto weiter „rumspinnen“ konnten.
Die wunderbarsten Schwiegereltern, die man sich vorstellen kann, warteten in Ettlingen mit Wein, Kartoffelsalat und Fisch auf uns Das erste Event des lebenslangen Kartoffel-Salat-Abos durfte ich einlösen. Ihr müsst wissen: Es gibt keinen besseren. Ich würde sogar Höckes Schuhe putzen für ein Klecks Kartoffelsalat von Schwiegermama. Es tut so gut, sich wieder in den Arm nehmen und ganz dolle drücken zu können. Wir waren ja alle doppelt-immunisiert. Illegal, aber Scheiß egal. Schwiegerpaps und ich haben Krebs und außerdem sehen wir so gut wie niemanden außer uns gerade. Das basst scho.
Mein Schwiergerpapa ist auch ein Rumspinner, aber digitaler Natur. Weinbergschnecken sind nicht so seins. 71 und up to date wie Steve Jobs. Die neue Apple-Wach piepte und brummte permanent am Esstisch. Ein neues Spielzeug muss vorgeführt werden, das ist doch klar.
Es ist schön, jetzt Eltern zu haben, die sich kümmern und einen wertschätzen. Ich habe es 31 Jahre nicht vermisst, aber es tut trotzdem sau gut. Ich würde alles für sie machen und sie würden alles für mich machen. Mehr geht nicht. Es kommt an so einem gemütlichen Abend keine Minute Langeweile auf. Irmi und Bruno decken zusammen alle aktuellen Gesprächsthemen ab und man kann immer viele Impulse mit nach Hause nehmen und natürlich hat man auch meistens einen sitzen! Wenn ich überlebe, werde ich Irmis Manager und wir vertreiben ihren sensationellen Kartoffelsalat in Gläsern bis nach Timbuktu.
Um 22.00 Uhr war schicht. Ausgangssperre. War aber trotzdem schön, sich mal wieder zurecht gemacht zu haben, war fast so wie früher, wenn wir zu einer ABO-Veranstaltung des Staatstheaters fuhren. Schick und gut gelaunt.
Das Theaterstück hieß: die Kartoffel, die zum Salat wurde und von allen verschlungen wurde.
Eine von mir hoch geschätzte Kollegin kam zu Besuch. Sport und Mathematik, an dieser Kombination lass ich ja bei jeder Gelegenheit kein gutes Haar. Ich muss mich entschuldigen. Diese Kollegen*innen können tatsächlich auch Menschen sein. Das Gespräch hat mich bereichert, was für Gespräche generell ein großes Lob darstellt. Mal sehen, ob unser gemeinsamer Plan in Erfüllung gehen wird. Einseitige Feststellung: Es gibt definitiv Wichtigeres als Schule: Liebe und Freude! Man muss nur bereit sein, es endlich zu erkennen.
Es ist immer spannend, wenn überraschende Nachrichten mich erreichen. Echt schöne dabei mit netten Angeboten. Warten wir mal ab, was sich da alles davon erfüllen wird.
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Miezi (Mittwoch, 05 Mai 2021 21:25)
Mein lieber geschätzter Kollege Schnur,
falls euer gemeinsamer Plan sein sollte, eine Kneipe zu betreiben, dann plant mich bitte für die Bar ein... Präsi übernimmt die Küche, unser Stromberg-Verschnitt mimt den Sommelier und unsere Herx'emer Heideschnugge liefert das Biofleisch.
Ein paar Namensvorschläge hätte ich auch schon: Teachers Taverne, Pädagog*innen-Pub oder schlicht und einfach "Der Karzer".
Falls es bei dem Plan eher um geistreiche, inspirierende und niveauvolle Dinge gehen sollte, dann vergesst meinen Vorschlag... ;-)
Grüße aus Karlsruhe!
Miezi