War ich platt gestern Abend, meine Herren. Obwohl ich doch eigentlich einen total entspannten, grandiosen Tag mit Engel 07 verbringen durfte. Ich glaube die drei Stockwerke in unserem Haus in Böchingen waren dann doch noch ein zu großes Sportprogramm für mich. Ei, ei, wie wird das wohl werden, wenn ich keine Leukozyten mehr habe. Dann brauch ich für einen Gang in unser Schlafgemach 5 Stunden. Hm? Müssen wir eben unser Ehebett gleich neben der Küche aufschlagen. Och, wenn ich es mir genauer überlege, eigentlich gar nicht so unklug. In einem Radius von 10 Metern befindet sich dann alles Lebensnotwendige: Klo, Kühlschrank, Garten, Weinschrank, Ehefrau. Man beachte hier bitte die Klimax. (Weil ich weiß, dass die Ehefrau meinen Eintrag in ca. 3 Stunden lesen wird, würde sich eine unbedachte Steigerungswahl nicht gerade beziehungsstabilisierend auswirken. Ich will ja schließlich nachher den Kaffee ans Bett gebracht bekommen.)
Fällt mir ein: Kann ich einem Menschen, den ich so abgöttisch liebe, überhaupt zumuten, mit jemanden die Nacht zu verbringen, vollgepumpt mit den schlimmsten Giften, die der Herrgott zur Heilung schuf, nach der Mama schreiend und dauerurinierend. Das muss an anderer Stelle noch ausführlich evaluiert werden.
Mein Abreisetag gestern Morgen gestaltete sich, sag ich mal...schwierig. Ein besseres Wort fällt mir gerade nicht ein. Um eine szenische Vorstellung zu haben: Was ich da vollführte und sich mir bot, war eine Kombination aus Monty Python, Jerry Lewis, Einer Flog übers Kuckucksnest und Apocalypse Now. Ich mag ja alles vier, aber will man das an einem wunderschönen Frühlingsmorgen in geballter Form durchleben?
Szene 1. Duschen. Ich konnte meiner wohlriechenden Gattin ja nicht als stinkender Küchenlappen entgegentreten. Wasser und Seife mussten her! Krankheit ist doof, OP-Narben noch mehr, vor allem unter der Brause. Zufällig machte gerade mal wieder eine ost-europäische Pflegekraft die Haustüre auf, als mein Schniedel und mein einziger Hoden so vor mir herbaummelte. So stelle ich mir die Eingangssequenz von trögen Billigpornos vor. Aber ich griff nur in Panik nach meiner Jeansjacke. Als ob es das Natürlichste von der Welt wäre, mit nichts mehr als mit einer schwarzen Jeansjacke bekleidet, einen Ausflug an den Neckar zu machen. Schätze mal, dann hätte ich ein gewaltiges neurologisches Problem und nicht evtl. ein Lymphom. Ich bedeckte mich also mit der Jacke und zog sie nicht an. Schwups verschwand ich in der orange-farbenen Küchen/Duschzeile. Ich schnappte mir ein Handtuch, dass aber verdammt klein aussah. Ein anderes fand ich nach längerem Suchen nicht. Der Lappen war ungefähr so groß wie mein Oberschenkel. Ich band es um den Hals und versuchte es zu befestigen. Der Frotteewinzling hielt einfach nicht richtig. Ganz mutig versuchte ich irgendwie eine Schlaufe zu binden, zog dabei kräftig und erwürgte mich fast dabei. Es hielt, ich kriegte dafür aber keine Luft mehr. Mit der Handtuchkrause sah ich aus wie der seltsame Nachbar von Kommissar Beck. Ich drehte das Wasser auf. 4 Tropfen. Na Spitze! Zentimeter weiter - Staudammbruch. Schaffte es nach mehrmaligen Versuchen einigermaßen das Wasser unter Kontrolle zu halten und fühlte mich wie ein Panzerknacker am Tresor. Ich wollte den Duschkopf oben einhängen. Nix. Hä? Ich kann doch das scheiss Ding nicht die ganze Zeit in der Hand behalten, während ich mich mit vor dem Erstickungstod bewahre. Ich will doch nur duschen verdammt. Irgendwie habe ich es tatsächlich koordiniert bekommen, mit meinem verkorksten Ellenbogen (Stichwort Mountainbikedesaster!) den Wasserregler so zu bedienen, dass Wasser in erträglicher Form und Wärme mich besprenkelte, meine Krause meine Narbe bedeckte und ich mich lecker einseifen konnte. Ich rätsle noch jetzt, wie ich das ohne dritte Hand hinbekommen habe, ohne dabei nicht verbrüht und gleichzeitig erdrosselt zu werden oder ertrunken zu sein. Als ich die Mission dann doch überlebt hatte, wollte ich meine Kriegswunden überprüfen, wie man das halt so macht als Held, der sich gerade aus den Händen des Vietcongs befreit hat. Hä?...Hä? Kein Spiegel? Gibts doch nicht. Ich will einen Spiegel! Ich glaube das Zimmer hier haben die Architekten des Berliner Flughafens eingerichtet. Haben die einfach den Spiegel vergessen. Ich fass es nicht! Von den Handtüchern für Kleinwüchsige mal ganz abgesehen und der fehlenden Halteverrichtung für blöde Duschköppe. Trockne ich mich halt einfach nur ab und gut is. Abtrocknen? Ha! Ich lach mich tot! Ich will ja nicht unken, aber wird auch nix. Das Halskrausending war mittlerweile völlig durchnässt. Ich sag’s ja: schwierig!
Szene 2: Jackson. 150 kg, aus Lagos, Nigeria. Meine Reinigungskraft (eigentlich hätte mir Putze hier besser gefallen, Aber will ja nicht böse Zuschriften riskieren!) ReinigungsKRAFT passt auch ganz gut. Also Jackson: Er tänzelte mit seinem Wischmopp umher, lachte und summte ständig. Bariton. Seine Bewegungen waren sagenhaft geschmeidig für 150 kg. Stellte ihn mir im TüTü vor und musste mitlachen. Brummbrumm, HaHaHa, Tanztanz...Der Typ kam, sah und verbreitete gute Laune. Wenn ich so alleine unterwegs, bin habe ich eine besondere Eigenart (eine?) Ich versuche mit Leuten ein Gespräch anzuzetteln, um sie ein wenig „kennen zu lernen“. Das ist spannend und hat mir schon einige Überraschungen eingebracht. (Siehe Chemieprofessor!) Mache ich natürlich nicht bei jedem, sonst wird’s schnell pathologisch. Alleine? Für meine Begleitperson kann das unter Umständen etwas befremdlich wirken. Roger Willemsen hat das übrigens auch so betrieben. Ach wie viel gute Sachen hätte er noch schreiben können. So schade! Ein äußerst kluger und feiner Mensch. Ich schweife ab. Jackson. 45 Jahre alt, 28 Jahre in Deuschtschland...Hahaha...BrummBrumm...tänzel...Schland gudd gudd..:Hahaha...BrummBrumm...tänzel...deutsche imme su eeeeernst...Hahaha...SummSumm...tänzel...
nix singe un danse...immer bösegugge...Hahaha...Deuschkand abe gudd...Familie helfe...Lebe gudd Hahaha...BrummBrumm...Dir wieder gudd?...Hahaha...tänzel...tänzel...
Und weg war er...Ha...Brumm...tänzel...
Ich hatte für einen kurzen Moment das Gefühl, dass ich vielleicht doch noch heil aus dieser Katastrophennummer kommen könnte.
Das Leben ist eigentlich so gesehen überhaupt nicht schwierig.
Haha...BrummBrumm...tänzeltänzel...
Szene 3: Kaffee für die Freiheit! Nach meiner Entlassuntersuchung, die vollständig unspektakulär verlief, bis auf dass diesmal eine Balkan-Pflegekraft mit 5 Millionen Haaren 3 Anläufe brauchte um das beste klebende Pflaster zu fixieren, packte ich meine 7 Sachen und flüchtete aus dieser Wellness-Oase. Die Ärztin, die aussah wie Anna, erklärte mir noch ein paar Fachbegriffe und erläutere mir den weiteren stressigen Terminplan. Sie wünschte mir erstmal alles Gute. Ich mir auch. Das Böchinger Taxiunternehmen „Nici bringt’s...und holt‘s“ anrufen und mit einem Kaffee ab in die Frühlingssonne. So war mein Plan. Ein absolut guter Plan. Meistens sind meine Pläne fantastisch. Gelangen in der Regel zum Ziel - aber nur durch mein famoses Improvisationstalent. Absolute Voraussetzung für das Vergnügen mit pubertierenden halbstarken Gremlins arbeiten zu dürfen. Ich hatte so ca. 5 Minuten für die Umsetzung meines Planes angesetzt. Das war sehr gewagt, wie sich herausstellte.
Ich kam an der HNO-Kapelle vorbei. In den letzten Tagen hatte ich reingelinst. Es saß da immer irgendwelches Toastbrot kauendes Personal zwischen Jesus und der Kerze des Lichts. Da hatte ich keine Lust drauf. Ich startete nochmal einen Versuch. Leer. Alla Hopp, kann ja nicht schaden. Wenn Nicole und ich in der Natur unterwegs sind und es liegt eine Kapelle oder Kirche auf dem Weg, lassen wir uns einen Besuch nie nehmen. Wir sind sogar enttäuscht, wenn uns der Zugang versperrt wird. Wir vermeiden es, wie Weißsocken-Touristen daher zu kommen und jede heilige Insigne 12000 mal mit dem Handy zu knipsen. (Das machen wir nur mit Pflanzen, Burgen und uns!) Meine Mütze nehme ich auch dann immer ab und bohre auch nicht mehr in der Nase. Wir genießen einfach die Ruhe und diese besonderen Orte. Man muss da nicht gläubig sein, um immer wieder von Neuem ergriffen zu sein. Nun gut, nach 3 Rieslingschorle fällt die Ergriffenheit nicht mehr allzu griffig aus, gebe ich zu. Nach 2 aber auf jeden Fall. Und ohne werde ich hier mich wahrscheinlich gleich auf die Kacheln vor das Kreuz werfen und 3 Ave Maria beten, auch wenn ich das aus dem Stehgreif nicht beherrsche.
...Duschpause...drückt mir die Daumen!
Vielen Dank für‘s Daumendrücken. Duschen ohne sonderlichen Schaden überstanden.
Zwischenspiel. Nici: Hey, soll ich dir beim Duschen helfen.
Ich: Nö, solange ich nicht sabbernd und eingenässt aufm Kompost gefunden werde, dusch ich selbst. Nici: Ich lass dich liegen! Ist zumindest sehr nachhaltig und praktisch. Wenn ich dir was halten soll, sag es bitte!
Ich: Gern! Höhö!
Wo war ich heute Morgen stehen geblieben? Ach ja, bei meinem Versuch Erleuchtung zu erlangen. Aber lieber in der letzten Reihe. Man will ja dabei so wenig auffallen wie möglich. Erleuchtet zu sein, ist peinlich. Vor allem für Zweifler. Ich zog meine Mütze aus und nahm Platz. Ich wurde tatsächlich gleich ruhiger, dachte nicht an die Ängste von Nicole und Anna, nicht an meine Ängste, nicht an die überforderten Kollegen*innen mit der Situation umzugehen, nicht an irgendwelche Verpflichtungen. Saß da und dachte nichts. Das kann ich eigentlich ziemlich gut. Das muss ein Beamter gut können, auch ohne den Kirchenschnickschnack. Einstellungsvoraussetzung.
Etwa 90 Sekunden war ich also im Nirwana (wer kann von sich behaupten, sich irgendwann mal im Nirwana aufgehalten zu haben), da nahm ich eine Frau durch das Fenster wahr. Sie trat auf die Terrasse durch einen anderen Eingang. Die Kapelle grenzte neben dem Kiosk und die Dame musste eine Bedienstete gewesen sein.
Wie beschreibe ich diese Frau jetzt, um ein wenig Anstand zu wahren. Ich mag Menschen. Viele zumindest. Nicht alle. Vor allem die Schwachen liegen mir am Herzen. Die leisen. Und diese Frau war alles, aber nicht leise. Sie schrie, palaverte in ihr Handy und rauchte dabei eine Marlboro nach der anderen. Sie qualmte so viel, dass ich den Zigarettenrauch durch das geschlossene Fenster roch. Der Duft von Weihrauch wäre mir lieber gewesen. Sie hatte keine Zähne im Mund und einen langen fettigen Zopf. Auf ihre Unterarme war ein Einhorn ziemlich dilettantisch eintätowiert. Ein Einhorn, das wie ein Esel aussah, der einen Stock ins Hirn gerammt bekommen hat. Vielleicht war es ja tatsächlich ein Esel mit einem Speer in der Rübe, dann erschloss sich mir aber nicht ganz die Symbolik,
Sie schrie ständig „entri mel nio nervo“. Das weiß ich jetzt noch. Wenn ich etwas 1000 Mal höre, kann ich mir dann auch mal was merken. Beim Keifen, Schreien und Qualmen sah sie aus, wie eine Kreuzung zwischen Häuptling Sitting Bull, Martin (Maddin) Schneider und Hannibal Lector. Entri mel nio nervo - bow, und wie! Wie soll man bitte hier in aller Ruhe erleuchtet werden bei diesem Geschrei. So, ihr werdet jetzt denken, dass ich das alles erfinde. So psychisch krank kann ich gar nicht sein, dass ich mir das alles ausdenke. Sag ich jetzt einfach mal so. Es schwang die Schwenktüre auf. Darth Vader kam rein. Ne echt jetzt, Darth Vader? Er nahm zwar vorne Platz, und ich dachte schon, wie wohltuend rücksichtsvoll. Darth Vader betete. Schluss mit rücksichtsvoll. Er betete zischend und gurgelnd durch seine Kehlkopfröhrchen. Gurgel, zisch, gurgel, zisch..
Sorry, es hat bestimmt sichtbar ernste Gründe, warum du betest, aber entri mel nio nervo, entri mel nio nervo. Ich sprach mit mir in mir mit ihm. Jesus, bitte um Verständnis, wir müssen unser Erleuchtungsdate nochmal verschieben. Tschüss.
Leute, es wird noch besser. Versprochen!
Szene 4: Das unfassbare Glück morgens um 09.15 Uhr am Kiosk der HNO einen Kaffee zu erhalten und dabei nicht als Kleinkrimineller verhaftet zu werden.
Der morgendliche Kaffee ist Pflichtprogramm. Am besten guter, der den Lebensgeistern so richtig Zunder gibt. Leider erhält man als Lymphompatient nicht „Pfälzer Wachmacher“ intravenös, sondern einfach nur literweise giftigen Sondermüll. Wie ich mich freute gleich einen guten heißen Tropfen aus der Maschine zu zaubern und in der Sonne auf „Nici bringt’s und holt‘s“ zu warten. Komisch der Kiosk war zu, aber irgendwie doch auf. Bei der einen Hälfte war ein Rollo unten, die andere Hälfte zugänglich. Dort stand auch der Kaffee-Vollautomat. Ich machte einen imaginären Luftsprung, da mein beschissenes IS-Gelenk keinen tatsächlichen zuließ. Hinten sah ich auch einen Schatten rumhantieren. Schnappte mir also einen Pappbecher und drückte auf „Kaffee Schwarz“ und dichtete mir extra strong dazu. So weit, so toll. Ich stellte den Kaffee Richtung Kasse, da erhob sich eine krumme Gestalt vom Boden hoch über den Tresen. Ich erschreckte mich so heftig, dass ich einen Schritt zurückwich. Sitting Bull war von den Toten auferstanden, nur eben mit den Gesichtsmasken von Maddin und Hannibal. Das qualmende Einhorn. Die Frau, die ihr Ehemann ohne Zähne verspeist hatte. Ich wusste sofort, dass MUSS ein Blogeintrag geben. Sie schrie fast so laut wie gerade eben neben mir in der Kapelle. No Seniore, wir habe gslosse! Ich war sprachlos. Sie sprach deutsch. Ich verstand trotzdem nicht, es war doch auf. Ich musste ziemlich vertrottelt ausgesehen haben. Sie zeigte mit einem unfassbar gelben Zeigefinger auf einen Aufsteller im Eingangsbereich. Ich bin aus lauter Kaffeeeuphorie daran vorbei gelatscht. Ich starrte auf ihren Finger und fragte mich, ob sie tatsächlich mit diesem ekligen Finger belegte Wurstbrötchen schmierte. No, Seniore wi mache auf um 10 Uuuur. Es war 09.36 Uhr. Uupps. Ich entschuldigte mich höflich, auch wenn mir das schwer fiel. Aber ich wollte auch keine Vendetta vom Zaun brechen. Sie war erbarmungslos. No, Seniore. Ich zeigte mit einem Finger auf meinen bereits vollen Becher und zuckte die Schultern. Ich bemühte mich, nicht zu grinsen. Grinsen ist auch nur schmerzhaft möglich, mit meinem Schmiss am Hals. Ich holte mein Mini-Geldbeutel raus und zog ein Zehner. No Seniore, kein Kasse. Ich wedelte mit dem Schein und machte auf Der Pate. No, kein Kasse. Wie jetzt, soll ich den Kaffee wegschütten oder was? Das sagte ich nicht, sondern dachte es nur. Ich schmiss ihr den Zehner hin und sagte: stimmt so, der Rest ist für sie und ihre verwaisten Kinder (die ihren von der Mutter verspeisten Vater verloren haben - you know!) Also ich fand den Spruch super. Sie ignorierte ihn.) Plötzlich schoss die Registrierkasse raus, verpasste Hannibal aber leider keinen Bauchschuss! Sie wollte mir Geld rausgeben. Bestimmt Schwarzgeld aus Drogengeschäften. Ein Vorteil als sterbenskranker auf Lebzeit verbeamteter Lehrer: Man schaut nicht mehr so aufs Geld. Außerdem war ich zu stolz, um hier jetzt klein beizugeben. Sie schüttelte den klebrigen Pferdeschwanz. No! No! No! Diesmal kein Seniore mehr. Dochdochdoch, gnädige Frau! No! No! No! Dochdochdoch! Ein Kompromiss musste her! Ich nahm das Kleingeld und ließ den 5er liegen. No! No! No! Jetzt war’s mir dann aber doch zu doof. Ich nahm den Kaffee und hinkte davon. Mittlerweile war mein Kaffee kalt und meine Apple Watch zeigte 09.53 Uhr. Noch 7 Minuten und ich hätte auf völlig legalem Weg einen heißen Kaffee bekommen.
Man sollte meinen, dass sich mein Schlafpensum auf 4 Stunden eingependelt hat. Zumindest ohne aktiv zu sein. Ausnahme: das zweifache Entleeren einer halben Weißherbschtschorle.
Ich habe wieder geträumt. Saß bei meinem Chef, also nicht Gott. Obwohl: ein Schulleiter muss schon ein klein wenig etwas Göttliches an sich haben. Vor allem in Coronazeiten. ich wurde zum göttlichen Rapport zitiert und nahm an einem Tisch Platz, der war riesig. Viel größer als der reale Besuchertisch, an dem wir meist unsere Schulleitungssitzungen abhalten. Ich nenn jetzt mal mein Chef Ahmed. Weil ständig Chef zu schreiben, ist kein guter Stil. Es muss eine Alternative her. Ein deutscher Allerweltsvornamen ist mir zu langweilig. Dem Nachnamen begegne ich evtl. in Kürze. Der Realnamen gebietet sich nicht bei Gott, versteht sich. Also der göttliche Ahmed begrüßt mich nett, aber bestimmt. Hey Alex, ich hab gehört du arbeitest nicht mehr. Ich: Nö. Hm? Bist du sicher, dass du das so willst? Yep! Willst du dich nicht ablenken? Manchen tut das gut, weiter zu arbeiten. Ich: Tja! Nö! Also mir würde das gut tun, is ja echt hart was du da gerade durchmachst. Ich: Jo! Aber ich respektiere das! Mach es so, wie du denkst. Ich: klar! Hm, vielleicht postest du nicht so viele Bilder aus deiner Freizeit. Das wirft vielleicht ein schlechtes Licht auf uns. Ich: Wie? Na ja, du bist doch krank geschrieben. Das is dann nicht so gut. Ich: Ja? Er Ja! Ich: Egal! Ahmed: Danke! Ich: Danke!
Ich würde mir manchmal wünschen, ich hätte jederzeit Zugriff auf einen Traumanalyst a la Sigfried Freud. Der mir attestiert, dass ich nicht total meschugge bin. Der mir diese Träume in positive Energie umwandelt.
Szene 5: Einer flog übers Kuckucksnest. In Schnuris Filmkanon ziemlich weit oben angesiedelt. Hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass ich genauso durchgeknallt - aber noch lange nicht so cool - wie Jack Nicholson bin.
Ich platzierte mich auf einer Bank im angrenzenden Park der Klinik. Genoss die morgendliche Frühlingssonne, die schon recht warm war. Ich schlürfte meinen hart erkämpften lauwarmen Kaffee und starrte in die Gegend. Es war wenig Betrieb. Viel besser als in der Kapelle des Schreckens. Dachte ich. Es liefen genau ein Mann und zwei Pärchen an mir vorbei. Der Mann zuerst. Er fiel mir aber schon im Foyer in der Klinik auf. Typ total verwirrt. Wahrscheinlich der Neurologie entfleucht. Jetzt hat er es tatsächlich bis nach draußen geschafft. Er schwankte. Ziemlich stark sogar. Er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift Hot Tuna. Ein aggressiver Hai schwamm unter dem Schriftzug. Also wie ein Hai ka er mir nicht gerade vor, eher wie ein Zitteraal. Sein Haar war zersauselt und zerfilzt und wies teilweise löchrige Stellen auf. Am rechten Handgelenk befand sich die berühmte klinische „Was-bin-ich-Utensilie“: Infusionsnadel. Was war er also? Ein Patient! Die kürzeste Was-bin-ich-Folge, die es jemals gab. Nach 4 schwankenden Catwalks des ZItteraals setze er sich endlich hin und fotografierte mit dem Handy einen Mülleimer und seine Füße. Ich musste echt zweimal hinschauen. Mülleimer *knips*, Fuß links *knips* Mülleimer *knips*, Fuß rechts *knips*. Was macht der da Bitteschön. Will er der Welt zeigen, dass seine Füße genauso oder besser aussehen wie ein voller Klinikmülleimer. Das wäre doch mal eine schöne Aufgabe für freies Schreiben. Wir würden uns im Unterricht totlachen beim gegenseitigen Vorlesen. Sowas wird mir tatsächlich ein wenig fehlen. Totlachen? Guter Tod! Ich wurde abgelenkt und blickte von meinem Mülleimer fotografierenden verpfuschtes Neuro-Experiment weg. Da lief ein Paar an mir vorbei. Sie groß, kräftig, Riesenbusen. Riesenriesenbusen. Er: Groß, dünn, sehr dünn. Eisi Gulps Bruder, nur viel viel dünner. Heroin? Crack? Magersucht? Tippte auf Patient und Partnerin. Als sich Eisi Gulp an einer Laterne festhielt, nach vorne beugte und ins schöne grüne Gras übergab, hatte ich Gewissheit: auch ein Patient. Schaute von dem Erbrochenem weg zum Müllmann. Nicht mehr da! Die Frau half Eisi auf und wischte mit einem Taschentuch den Mund. Hoffe aus Liebe und nicht aus Verpflichtung. Letzter Auftritt. Links von der Bühne kam Horst und rief Helga, rechts kam Helga und rief Horst. Das wiederholte sich 3x. Ich saß am Scheitelpunkt einer Kurve, Helga und Horst sahen sich einfach nicht. Helgaaa! Hoooorst! Endlich fanden sie zueinander: Kabale und Liebe open air. Die küssten sich so leidenschaftlich, dass ihr die Perücke verrutschte. Patientin!
Nun wurde ich gerufen. Aalex! Niiiciii! Endlich konnte der Kuckuck aus dem Nest flattern. Auch bei uns kam was ins Rutschen. Nur Nicis Sonnenbrille, die fliegt regelmäßig vom Kopf, wenn wir uns so küssen wie Helga und Horst.
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Nici (Sonntag, 25 April 2021 18:02)
Hallo, nicht pennen...schreiben, ich will endlich wissen, wie es weiter gegangen ist!!! �
Ines (Sonntag, 25 April 2021 20:54)
Ich auch... Ich auch...
Das ist ja spannender wie jedes andere Buch, was ich gelesen habe...
Alex... Ich muß schon sagen... schreiben hast du echt drauf �