Vorbereitung lV

4 Sunden Schlaf, ist doch gar nicht so übel, oder?  

Hab von einem HNO-Chirurgen mit zittrigen Händen geträumt, der aussah wie Philipp Amthor. Über mein zerhackseltes Gesicht gebeugt, rief er in die Runde: So ein Mist aber auch! Ob mir der beknackte Philipp nun die Nase oder meine Ohren abgesäbelt hat oder womöglich beides, kann ich nicht mehr sagen. Lieber Gott, lasse es bitte nicht zu, dass dies mein letzter Traum auf dieser Erde gewesen ist. Ich werde auch niemals mehr Lobby-Philipp als Hackfresse bezeichnen. Ganz großes CDU-Ehrenwort!


Oh Männo, nur weiche Kost für mich. Riesling? Leider nicht. 

Ein Herr Doctor liegt neben mir. Ist glaub schon tot! Haben ihn nur vergessen abzuholen. 

Ich habe etwas für meine Hassliste vergessen: Stützstrümpfe, vor allem das Anziehen dieser Drecksdinger. 

Etwas Schönes: Wenn ein Mensch...

...manchmal können so drei Punkte extrem wichtig sein. 
Was wollte ich heute Morgen also noch zu Ende schreiben:

Wenn also ein Mensch sich morgens in aller Herrgottsfrühe den Wecker stellt, nur damit man noch einmal mit dem Paps ein letztes Gespräch ohne Vokaldeformationen und Konsonantenauslassungen führen kann, dann ist das Liebe, die man für sich niemals zu hoffen gewagt hat. Liebe, die wie eine Art Raketentreibstoff für Rollstuhlfahrer wirkt. Hab mich plötzlich gefühlt wie Hulk, nur nicht so grün. 


Und nun...
...Hulk hat’s gepackt, die erste Mission zumindest. 

Ich habe wieder Stoff für einen Seiten langen Blog-Eintrag erhalten. Unbelievable! Den Stoff liefere ich aber erst später, muss zuerst jemanden verabschieden. 

Der tote Doktor von heute Morgen war gar nicht tot und Doktor, sondern Professor für Organische Chemie und sehr lebendig. Wer hat mir bitte diesen alten Knaben geschickt? Stopp! Knabe klingt zu respektlos, das war kein Knabe, das war der schlauste, eloquenteste alte Herr, der mir jemals begegnet ist. 87 Jahre. 


Arbeitsgebiet: die Chemie mittlerer und großer Ringe, die Synthese von Cyclophanen und die Heteroquadricyclan→Heteropin Umlagerung, z. B. zur Transformation von Furanen zu Oxepinen. Genau! Hä? Hab ihm das aus Wikipedia vorgelesen. War ganz stolz. Meine Güte, das Genie hatte so viel Bildung im verkrummelten Zehennagel wie ich in meinem Riesling geschwängerten Hirn. Ich habe alle besoffenen Synapsen eingesammelt und mich echt angestrengt. Ich kann tatsächlich auch anders. Wenn Professor Oxepinen meinen Blog lesen würde, wäre sein Kommentar bestimmt: Was für ein Stümper! Nein, das wäre nicht sein Stil. Er würde sagen: Sie, das sind aber einige Passagen enthalten, die müssten von ihnen noch etwas nachgesteuert werden. Da fehlte es eindeutig etwas an Esprit. Und mit Verlaub: Arbeiten sie noch Sie bitte an Ihrer Rechtschreibung, mein Herr. 


DenganzenVormittag und noch ein Stück in den Mittag hinein quatschten - Sorry, Professor - sprachen wir über: 
den Existenzialismus von Jean Paul Sartre. (Gott sei Dank - das würde Sartre jetzt nicht so gern hören - kannte ich mich da ein wenig aus, da ich mal in der Oberstufe ein herausragendes Referat gehalten und mich zur damaligen Zeit in Bezug auf das Leben im Hier und Jetzt ohne Konzept sehr erprobte. 
Professor Oxepinens (ich kann mir nicht mal das Wort merken Hergottsack) Credo war „Man muss auch mit mit den kleinen Dingen zufrieden sein.“ Diesen Satz hörte ich alle gefühlte 2 Minuten. Wie Recht er hat. 
Wir erzählten unsere Krankengeschichten äußerst detailreich und medizinisch fachkundig. Wir kamen auf den gleichen Nenner. Körper ein Misthaufen und der Geist hellwach. Nun ja, eher des Professors Nenner. Mein Geist braucht noch einiges an Dünger. 
Wir philosophierten über altsprachliche Bildung. Puuuh...hatte ich da Glück mit meinem großen Latinum. Das weckte sogleich ein wenig mehr Interesse an meiner Person. Was meinte er hierzu: Ein Gymnasium, das nicht wenigstens das kleine Latinum anbietet ist doch keine Schule. An dieser Stelle traute ich mich kaum zu sagen, dass ich an einer Gesamtschule ohne Lateinangebot unterrichte. Das Wort „Integrierte“ habe ich bewusst weggelassen. Wir trafen uns bildungstechnisch nochmals in der Mitte: Noten gehören abgeschafft! Hört hört. Welch ein Revolutionär in Filzpantoffeln. Man sollte nicht lernen, weil man gute Noten erhaschen will, sondern weil man daran Freude hat. Ab jetzt vergötterte ich diesen klugen Mann.
Aber immer lachte er während seinen knallharten Äußerungen und bedankte sich jedesmal ausführlich, wenn die Pflegekräfte ihm etwas brachten: Vielen herzlichen Dank, dass sie sich so nett um mich kümmern. 
Er lachte auch, als ich ihm meine Aversion gegen das Fach Chemie und  die dazu gehörigen Lehrer*innen unterbreitete. (Was würde der Prof. wohl über das Gendersternchen sagen?) Hey seid ehrlich, habt ihr schon mal einen echt coolen Chemielehrer kennengelernt? Aber seit heute kenne ich einen sehr coolen Chemieprofessor. Der mit 87 WhatsApp mit dem Apple-Pencil schreibt und min 84 einen Französischkurs an der Volkshochschule belegt hat. Nach dem grauenhaften Demenztod seiner geliebten Ehefrau. Sie bekam zum Schluss Strafanzeigen wegen Körperverletzung vom Pflegepersonal. 4 Kinder, 3 promoviert: Jura, Chemie und Wirtschaft. Sagenhaft. Es gab im Gespräch kein Stillstand, immer weiter, immer weiter. Während jeder Erzählung aus der Vergangenheit blühte er mehr und mehr auf. Napoleon, Revolution in der Pfalz, Deutsche Klassik, AFD, („die Deppen“!) Und das alles in 5 Stunden. Unfassbares Gedächtnis. Sein Hirn hatte mindestens einen Arbeitsspeicher von 32 Gigabyte und ich kann mir nicht mal meine Zimmernummer merken. Das war eine grandiose Ablenkung von meinem Elend. Ich war richtig traurig, als er von seinem Sohn abgeholt worden ist. Der musste natürlich am Haupteingang auf ihn warten. Wir wünschten uns alles Gute und er philosophierte noch ein letztes Mal:  Das Glück lässt sich nicht festhalten, es nistet sich immer nur für eine Zeit lang ein. 
Ich wünsche Ihnen und ihrer Familie, dass das Glück sich wieder bei Ihnen einnistet. Zack! Und dann liegt man da. Alleine. Und weint. Nicht weil man traurig ist, sondern wegen dieser wunderschönen, so wundersamen Begegnung. 

Mein Hals brennt wie Feuer. Der illegale Kaffee war vielleicht doch nicht so eine gute Idee. Und mein Hirn braucht ne Pause. Der Professor hat mich fertig gemacht. Nachher gehts weiter...

Die Jimdo-App spinnt wohl: Keine Ahnung warum es mir die Wörter zusammenzieht. Verbessere es, und dann steht doch wieder der alte Mist da. Nervig! Ich versuche es jetzt mal mit Word, kopieren und einfügen. Mal sehen…

 

Heute Morgen hatte ich ganz gewaltigen Schiss, das muss ich schon sagen. Und das war erst das Kindergarten-Programm. Vor 10 Jahren habe ich mich nicht so angestellt. Aber da war ich auch noch Jungfrau, krebstechnisch gesehen. Vielleicht spielt das eine Rolle. 

Um 06.20 Uhr konnte man ohne Kontrolle einfach im Liegeneingang der HNO reinschlappen. Das soll einer verstehen. Das Paar von gestern, die Frau die raus geworfen wurde, begleitete mich – bis zu zur Station. Und gestern hatte man da einen Aufstand gemacht. Tzzzz…

 

Musste nochmal Fragen beantworten, vor allem zum Wellnessbereich: Welche Speisen ich bevorzuge? Molekular oder traditionell? Maniküre? Pediküre? Fango? Heilsteine? Klangtherapie? Und so weiter. 

Ich habe ich für das All-Inclusive-Programm entschieden. Aber ohne Fleisch mit ganz viel Suppe. 

Leider wieder eine schroffe Pflegerin, optisch der Typ KZ-Aufseherin. Ich glaube nicht, dass die Rosamund-Pilcher-Filme guckt. Ging alles zack, zack, zack, war zu schnell für mich. Kein Wasser mehr trinken, liegen bleiben, Wertsachen wegschließen, auch Handy, Schrankschlüssel gibt’s erst nach der OP wieder. Zack, Zack, Zack. Sie warf mir die Lagerkleidung hin. Strümpfe, Unterhose und Nachthemdchen. Anziehen! Danke! Sie werden gleich abgeholt. Ich quälte mich in alles rein und fiel fast auf den toten Doctor. Da dachte ich ja, dass der Chemieprofessor ein Doctor ist und seine Leiche vergessen wurde. 

Ich hatte richtig Stress, da ich ständig glaubte, dass man mit mir gleich wieder schimpfen würde, weil ich immer noch nackt auf dem Zimmerboden herumlag. 

Aber mit Geduld und Spucke saßen dann auch die ekligen Strümpfe. Ich weiß, sie retten Leben, aber für was für einen Preis? Im nächsten Leben hätte ich gern irgendwelche Krankheiten, wo man keine Stützstrümpfe benötigt. Mehr verlange ich doch gar nicht für mein Karma. 

 

Dann wurde ich endlich abtransportiert. Die Uniklinik Heidelberg hält die Inklusion sehr hoch, so scheint mir. Eine männliche Pflege(hilfs?)kraft versuchte mich aus dem Zimmer zu schieben. Dabei donnerte das Bett mehrmals so gegen die Rahmen, dass der tote Professor fast aus dem Bett fiel. Wir jagten über die Flure wie bei einem Autorennen und der Pilot rief immer „Aus dem Wech do vorne, aus dem Wech!“ Dann bremste er abrupt, so dass meine Stirn am Bettrahmen hängen blieb. „Nee, des glaub i jetzt einfach net, immer dasselbe. Wie i des hass.“ Ein Servierwagen stand mitten im Weg und wir kamen nicht daran vorbei, zumindest nicht elegant. Herr „Aus dem Wech, aus dem Wech“ hantierte rum wie ein Berserker und schaffte es dann mich an dem Wagen knapp vorbei zu bugsieren. In einer Kurve fuhr er dann noch fast zwei Ärztinnen über den Haufen. Ich dachte die ganze Zeit: Hey, haben die mich vielleicht schon weggeschossen. Das ist ja noch ein beschissener Traum als der mit Philipp Amthor. 

Die Krönung kommt erst noch: De Typ parkte mich an der falschen Stelle. Ich wunderte mich, warum da keiner kommt. Hat der Dödel mich ein Flur weiter abgestellt, bis die OP-Ärzte mich endlich gefunden haben und in die Vorbereitung zogen. Ich glaube die Nummer werde ich so schnell nicht vergessen. Kann man eine Klinik verklagen, weil man dachte, man ist jetzt im Leichenschauhaus gelandet? Meine Füße und Hände fühlten sich zumindest so kalt an wie bei einer Leiche. Und das Beste: Ich musste so dringend aufs Klo. Ich durfte ja nicht aufstehen. Immer wenn ich Psychostress habe, muss ich ständig pieseln. Hab ich von meiner Mama. Na ja ab und zu habe ich auch ein Problem mit der Blase, wenn ich 2/3 Rieslingschorle zu viel habe. Aber ich war stocknüchtern, ich schwör.

 

Wenn ich nicht schon mit der schönsten und besten Frau der Welt verheiratet wäre, hätte ich der Krankenschwester, die mir die Bettflasche endlich überreichte, einen Heiratsantrag gemacht. 


Ach ja, den Ehering musste ich auch noch ausziehen und in den Schrank meines Zimmers sperren. Hatte ich vergessen zu erwähnen. Den habe ich schmerzlich vermisst und musste im „Leichenschauhaus“ ständig daran denken, dass ich jetzt hier verwese, ohne meinen geliebten Ehering. Blöde Kuh! Ich machte die KZ-Nudel natürlich für etwas verantwortlich für das sie gar nichts konnte. Man darf halt auf dem Schneidebrett nichts weiter tragen. OP-Gesetz! 


Ein netter Pfleger lenkte mich geschickt ab. Er wunderte sich, warum er nicht meinen rechten Arm fixiert bekam. Ich: Mountainbike, Ellebogenköpfchen. Er: Nicht wahr? Sie auch? Er hat die Bordsteinkante übersehen, ich ne bescheuerte Pfütze im Dorf. Nach 3 Schorle im Sternel und eins bei Papa Krüger in B. wusste ich, da ist was faul. Ich werde das Röntgen meines kaputten Armes niemals im Leben vergessen. So muss es sich anfühlen, wenn man Drillinge gebiert. Mit meinem empathischen Pfleger faselte ich dann noch etwas über meine tollen Unterrichtsfächer und fachfremden Unterricht. Bis dann Christina Yang sich über mich beugte. Ich wollte nach einem Autogramm fragen und verfluchte, dass ich kein Handy mit in den OP nehmen durfte. Mensch war Christina nett. Gar keine Starallüren. Sie dockte mich an, fuchtelte ständig über meiner Nase mit einer Narkosemaske rum und wartete auf die Oberärztin. Oh, ich war wohl noch in eine der ersten Staffeln der Serie unterwegs.  Sie musste grünes Licht für den Abschuss geben. Puff, the magic Dragon. Kawumm! 


Zwei Stunden später erblickte ich wieder das Licht der Welt, nur diesmal ohne Zangengeburt und ohne den Kommentar meines ungeliebten  Vaters: Den kriegen wir auch noch groß. Der Chemieprofessor schlürfte heiter sein Früchtejoghurt durch die Dritten. Da sind sind sie ja, lächelte er mich an. Ich dachte, sie wachen gar nicht mehr auf. Huch! Oh Schreck! Scheiße, Philipp, die Hackfresse, hat mich nun doch gekillt. Ich fasste mir an die Ohren und meine Nase und kriegte mich nur ganz langsam wieder ein. Und ein wunderschöner Tag konnte endlich seinen Lauf nehmen...