Vorbereitung III

Lange, sehr lange schau ich in den Spiegel. Flottes Kerlchen! Ich habe mich in den letzten 10 Jahren ganz schön gemacht. Vor allem wenn ich lache. Ich gebe es zu, das fällt mir jetzt gerade nicht leicht.

Wie werde ich in ein paar Wochen/ Monaten wohl wieder aussehen? Bei dem Gedanken könnte ich  glatt das Waschbecken vollkotzen. Beherrschung, Herr Schnur, Beherrschung!  

Auf in die Klinik - OP-Vorbereitung!

Was für ein tolles Event in Pandemiezeiten!


Was hört man im Auto, wenn man eine Stunde unterwegs ist und man doch keine so coole Socke zu sein scheint. 

Eigentlich etwas Gutes, ich bin kein Klinik-Profi mehr. Aber bald werde ich es wohl wieder sein.

Deutschlandfunk. In normalen Lebenssituationen immer gern, aber heute nicht das Richtige.

Der Horror um Nawalny, unsere neue Bundeskanzlerin Annalena und der Kampf um Mittelerde des 

kleinen Hobbit Laschet. Nee, das beruhigt irgendwie auch nicht. SWR3. Die Witze gehen mir auch auf den Zeiger.

Okay, Idee, hab mir das Hörbuch „Arbeit und Struktur“ von Wolfgang Herrndorf (Tschick - eins der besten Jugendbücher der letzten Jahre) runtergeladen. Sprecher: der geniale

August Diehl. Der eine oder andere würde jetzt sagen: Und das soll beruhigend sein? Ein Schriftsteller, der einen Blog über seine 

Gehirntumor-Erkrankung verfasst hat und dann post mortem veröffentlich wurde. Herrndorf hat sich im Alter von 48 Jahren erschossen. 

Er konnte es nicht mehr ertragen, nicht der Herr in seinem eigenen Haus zu sein. Ich hatte den Blog schon vor 10 Jahren gelesen. Ihn jetzt zu hören,

hatte tatsächlich etwas Beruhigendes, sogar etwas Meditatives. So meditativ, dass ich 4x irgendeine Ausfahrt verpasst habe. 

Der Inhalt ist natürlich der emotionale Hammer! Will man lesen, wie einer über seinen bevorstehenden Tod schreibt, mit all den medizinischen

Untersuchungen und den damit verbundenen zerstörten Hoffnungen? Will man lesen, wie einer die Vorzüge des Suizids beschreibt? Nicht wirklich. 

Aber man will lesen, wie die Freunde ihn auffangen, wie er mutig, kreativ und sehr humorvoll gegen das Unvorstellbare ankämpft. Man will solche Sätze hören, wie: Mir wird immer dann der Stecker gezogen, wenn ich die Zugewandtheit von meinen Freunden erfahre, wenn ich in der Natur unterwegs bin oder wenn ich Kinder erlebe. Der Tod hat doch auch was Gutes: keine Steuererklärung mehr, keine Zahnarztbesuche, niemals mehr

sinnlosen Smalltalk. 


In der Klinik war es sehr ermüdend. Hin und her, her und hin, rauf und runter, runter und rauf. Corona-Abstrich, EKG, Blutabnahme, Aufklärungsgespräch HNO, Aufklärungsgespräch Anästhesie. Da ich gerade nicht so gut zu Fuß bin, war das eine echte Herausforderung. Viele skurrile Episoden erlebt: die Abstrichmacherin, die aus einem kleinen Fenster im Außengelände mir das Stäbchen tief in die Nase und in den Rachen rammte, dass mir die Tränen über meinen Bart liefen. Wie sich die Welt in den 15 Monaten verändert hat, verrückt. 


Bei der Aufnahme in der Verwaltung stand ein Pärchen neben mir. Die Verwaltungstusnelda sprach mehrmals die Frau laut an: Was machen Sie hier? Wer hat sie hier rein gelassen? Ihr Mann darf nur alleine die Klinik betreten? Keine Ausnahme! Das wiederholte sie 3x. Wurde dabei immer lauter, bis sie fast schrie. Die Frau verstand kein Deutsch und zog dann doch völlig betröppelt von dannen. Die Thekenschlampe zum Mann: Das kriegen wir auch alleine hin, gell?

Ich dachte, ja, aber das ist doch verdammte Megasuperscheißkacke, Mensch! So darf man doch nicht mit den Leuten umgehen, auch nicht in der Pandemie. 

Meine Verwaltungsfachangestellte war die Quotenbehinderte. Sie hatte eine Augenschrägstellung, dass sie immer an meinem rechten Ohrläppchen vorbeiguckte und eine extrem gewöhnungsbedürftige Aussprache. Und sie brabbelte jeden Handlungsschritt, den sie verrichtete, vor sich hin. Junge, war das zäh. Schrecksekunde. Ihre Versicherungsarte ist geberrt Err Ur. Ich: Hä? Wie gesperrt? Is doch keine Bankkarte. Außerdem habe ich erst Kohle von der Krankenversicherung erhalten. Och, och! Geberrt. Versicherungsammer Ayern, ja. Nö, die ist nicht geberrt, äh gesperrt. Das muss ein Missverständnis sein. Arten i al. Age eine Efin. Ah, die eißt Aiersche Ericherungsammer, etzt ist lalles ar. 


In der HNO füllte ich mehrere Seiten aus. Risiken haben ich auswendig gelernt. Wenn ich Matsch morgen bin, und so spreche wie Frau Och Och, dann werde ich ziemlich viel von dem Scheiß vergessen haben. Auch gut. Bei der letzten Passage schreckte ich plötzlich auf. Darth Vader war plötzlich in der HNO erschienen. Zisch, Röchel, Gurgel. 

Ich drehte mich zur Seite, da stand nicht Darth Vader, sondern ein kleines Hutzelmännchen mit Röhrchen, das steil da rausragte, wo ehemals mal sein Kehlkopf war. Jesus, musste das sein. Das ich auch gleich wieder das volle frühere Föhr-Reha-Programm abkriege. Es ist doch noch gar nicht klar, ob ich wieder Krebs habe. Jetzt muss doch nicht gleich alles auf einmal sich wiederholen. 


Die Gespräche mit HNO-Ärztin und Anästhesistin  waren nett, erhellend, lustig und mal wieder Angst einflößend. 

HNO-Ärztin sah aus wie meine Anna und die Anästhesistin wie Annika aus Pipi Langstrumpf. Woher kriegen die immer nur diese jungen Ärztinnen her? Aber diesmal ohne Nickel-Brille. Scheint beim Klonen nicht mehr im Trend zu liegen. Frau Dr. HNO war sehr sehr nett, lag es an den schlechten Nachrichten, die sie mir überbringen musste: Mehrere Wucherungen auf der Schilddrüse. Auch eine ziemliche große. Eine weitere OP wird nach dem morgigen Tag anstehen. Schnippschnapp Schilddrüse ab. Ey, mir bleibt auch nix erspart. Muss aber nichts Böses sein, muss halt weg. Könnte tatsächlich sein, dass dieser Knoten für meine kurzen Atemaussetzer, die ich manchmal habe, verantwortlich ist. Er sei nah an der Luftröhre. Wenigstens wird das dann auch mal geklärt sein.


Die Anästhesistin war cool. Wir quatschten über die Dramen in Grey’s Anatomy und die MacDreamys dieser Welt. Gut mein greiser Operateur gehört zumindest optisch nicht dazu. Nach der Quantität des Alkoholkonsums fragte sie mich auch. Leider nicht nach der Qualität. Mein schlechtes Gewissen war erwacht, aber ihres nicht, Gott sei Dank. Sie sind ja Pfälzer, ich war eine Zeitlang in Speyer. Da is ja ne Weinschorle kein Alkohol. Recht hat sie! Fragte sie, ob sie mich morgen wegballert. Leider nicht! 


Schöne Ausstellung im Foyer der HNO. Hatte mich verlesen. Die eine Figur war nicht die „Schleichende Figur“, was eigentlich besser zu meinem aktuellen Gang passen würde, sondern die „Schreitende“. Dafür muss mein IS-Gelenk sich erst mal wieder an der richtigen Stelle befinden.


Zuhause: Geredet, gekocht, geschrieben, Tränen unterdrückt, beschenkt. Ich habe furchtbares Pech, aber auch wahnsinniges Glück. Da soll man nicht irre werden. 

Geliebt zu werden, so richtig geliebt zu werden, ist das schönste Geschenk, dass man einem Menschen machen kann. 


Termin morgen um 06.30 Uhr. Sind die bescheuert. Schauen die nicht, woher man anreist. Ich bin der erste. Na toll. Hoffentlich ist der greise Prof ausgeschlafen. Ich werde es nicht sein. Ein Vorteil? 


Oh Mann, ich hab Schiss! Und das ist erst der Anfang!