Vorbereitung

Tja...
Tja ist eines meiner Lieblingswörter. 3 Buchstaben, in denen man so viel hineininterpretieren kann. Für mich steht es für „die Unberechenbarkeit des Lebens“, für das Plötzliche, für das, was man vielleicht schon erahnt hat, aber eigentlich nicht wahrhaben wollte. Tja,...habe ich es dir nicht immer gesagt, dass das Glück am seidenen Faden hängt. Tja, einmal Krebs, immer Krebs.

Noch ist nichts gesichert, aber es sieht nicht gut aus. Das CT hat vergrößerte Lymphknoten in den Leisten und am Hals angezeigt. Der rechte Lymphknoten ist ziemlich groß und fühlbar. Den will man aber nicht entnehmen. Meine Ärztin will die Chirurgen nicht an meiner Leiste „rumpfuschen“ lassen. Die HNO`ler sind filigraner. Da bin ich aber froh. Alternative: Entnahme des Lymphknoten am Hals. Risiko: Durchtrennung des Gesichtsnervs und dauerhaftes Rieslingschlürfen durch ein Röhrchen. Na Prima! Aber was bleibt mir anderes übrig. Nicole und ich haben schon mal geübt, ob sie mich mit runterhängendem Mundwinkel versteht. Geht so! Mein Kauderwelsch wird dadurch noch kauderwelschiger. Gott sei Dank lieben wir uns auch non-verbal und kommunizieren sowieso meistens per Gedankenübertragung. Hey, ich hab Durscht! Supi Schatz, ich auch. Plopp! 

Die zwei Aufenthalte in der Uniklinik Heidelberg haben für manche schauderhafte Erinnerung gesorgt. Die armen Kreaturen in der Hämatologie und vor der Tagesklinik zu sehen, bleich, mit löchrigem Haupthaar, Infusionsständer hinterherziehend, lösen ziemliche unschöne Erinnerungen aus. Und lässt mich die grauenhafte Frage stellen: Werde ich bald wieder einer von denen sein? Fuck, fuck, fuck! Ist es tatsächlich möglich, dass man so eine Scheiße ein zweites Mal überlebt?

Ein Gutes haben die letzten zwei Besuche mit sich gebracht: Ich habe meine wunderbare Frau Dr. M. wiedergesehen. Sie ist ziemlich schräg, so wie ich, unheimlich kompetent, so wie ich und sehr humorvoll, so wie ich. Ich bin nur ein klein wenig hübscher als sie. Leider hat sie nicht so viel  Zuversicht ausgestrahlt wie bei unserer letzten Begegnung vor 6 Jahren. Aber wahrscheinlich war ich selbst nicht ganz so zuversichtlich. 

 

Die Auswirkungen der Pandemie an der Uniklinik hautnah mitzuerleben, hat Nicole und mich ziemlich mitgenommen. KEINE Zutritt-Ausnahme für Angehörige, die einen begleiten. 3 Stunden hat meine Ehefrau vor dem Haupteingang in der Kälte ausharren müssen. Was wäre ich bloß ohne sie. 

 

Eine greise Oma mit Zettel in der einen Hand und den Griff des Rollators in der anderen hatte mühsam nach der Anmeldung die Radiologie erreicht. Die zuständige Pflegekraft hatte sie aber nicht im Computersystem. Ziemlich schroff und ohne Empathie schickte sie die alte Dame wieder fort - zur 150 Meter entfernten Anmeldung zurück. Verwirrt klagte die Oma mit brüchiger Stimme, dass man ihr doch gesagt habe, dass sie sich hier einfinden solle. Keine Chance bei dem Pflegedrachen. Ich wollte der armen Frau schon zur Seite springen, aber leider zog mich eine andere CT-Fachkraft in die Kontrastmittelverabreichstube. Ich weiß nicht, was aus der Oma geworden ist. Schätze mal, sie irrt immer noch - mittlerweile als Geist - in den Katakomben der Uniklinik herum und verflucht alle osteuropäischen Krankenschwestern dieser Welt. Es ist nur schwer zu ertragen, dass man hier eine verwirrte alte nette Dame einfach ganz alleine ihrem Schicksal überlässt. 

 

Nach dem CT-Befundgespräch mit Frau Dr. M., die mir meine Lymphknoten zeigte und mir offenbarte, dass ich wohl nicht mit etwas Harmlosem rechnen kann, hatten wir (äh ich) die verrückte Idee, uns bei der Kälte ein Bierchen an der Tanke zu holen und erstmal an den Neckar zu schlappen. Das Vorabergebnis bei einem ultrakalten Bitburger kräftig sacken zu lassen, war die Devise. Dass Nicole Bier trinkt, kommt alle 1000 Jahre mal vor. Ein Zeichen, dass was Gewaltiges nicht stimmt. Oh Mann! Von jetzt auf nachher, erschien uns unser wunderschönes Leben von einem Erdbeben in der Stärke 10 bedroht. Ich hatte Millionen von Bildern im Kopf. Alle nicht schön. Diese zu verbannen, und sich zu sagen, ach, hey, das wird schon nix Schlimmes sein, das kann doch einfach nicht möglich sein, ist unvorstellbar schwer. Wir haben uns in den Armen gehalten, so lange bis uns die Griffel fast an der Kunststoffdose anfroren... und es wenigstens versucht. 

 

In meinem Hirn machte sich der schlimmste aller Sätze breit: Ich schaffe das nicht! Ich schaff das kein zweites Mal. Never! Nochmal aus der Hölle der Hochdosis-Chemo hochkraxeln? Nochmal die Würde an der Garderobe abgeben? 

 

Wie gesagt, noch ist noch nichts gesichert. Am Donnerstag die Knotenentnahme und dann am 29.04. ein weiteres Befundgespräch. 

Ein Tag vor meinem Geburtstag, weiß ich dann mehr. Genau 10 Jahre nach meiner ersten stationären Chemo-Runde. Das ist doch alles der reine Wahnsinn! Gott, ich bin doch ein echt netter Kerl, du Arsch! 

 

Praktiziere mal wieder die Visualisierung von guten Nachrichten:

- Herr Schnur, sie haben in den letzten Jahren viel zu viel gute Noten verabreicht. Da werden halt die Lymphknoten ein wenig größer. Kriegen wir hin!

- Sie sind zu provokant und zu ehrlich unterwegs, das tut den Knoten nicht gut. Kein Problem Miststück! 

- Sie schimpfen immer zu sehr über die unfähigen Kollegen*innen, da kann ja keine Lymphe ordentlich abfließen. Wird verdammt schwer, aber ich streng mich an! Echt! 

- Ziemlich schlechte Nachrichten Herr Schnur: komplettes Weinverbot bis ans Ende ihrer Tage! Ha, trink ich halt Bier und Schnaps! Ätsch!

 

Vielleicht hilft's ja, wer weiß...

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